Archiv des Autors: Erik Flügge

Politikberatung für Kinder- und Jugendarbeit

Dr. Werner Lindner ist Professor an der Hochschule für angewandete Wissenschaften in Jena mit den Bereichen Jugendarbeit, jugendliche Ausländer, Jugendkultur. Er hat sich in seiner letzten  Veröffentlichung in der „deutschen jugend“ mit dem Thema „Politikberatung und Lobbying für die Kinder und Jugendarbeit“ intensiv beschäftigt:

Professor Dr. Werner Lindner

Herr Lindner, was bedeutet Politikberatung und Lobbying für die Kinder- und Jugendarbeit?

Politikberatung und Lobbyarbeit sind zwei neue, miteinander verbundene Methodenansätze, die in der Kinder- und Jugendarbeit bislang kaum systematisch und reflektiert angegangen worden sind. Hier ist noch erhebliche Entwicklungsarbeit erforderlich. Wir können hier einen Gestaltwandel des Politischen  beobachten: gerade in neueren Governance-Konzepten wird Politik immer weniger „von oben“ dekretiert, sondern zusehends mit Bürgern ausgehandelt. Eine Vielzahl von neuen Partizipationsinstrumenten (Open Government, Bürgerhaushalt, Bürgerantrag etc.) ist hier zu nennen, die flankierend von Politikberatung/ Lobbying mitbedacht werden müssen. 

Welche Bedeutung haben Jugendlichen in der Lobby – Strategie der Jugendarbeit?

Natürlich sind Jugendliche als Zielgruppe der Jugendarbeit und auch für die Jugendpolitik letztlich die ausschlaggebenden Adressaten; denn ganz ohne sie macht die Sache ja überhaupt keinen Sinn. Jugendarbeit kann hier advokatorisch tätig werden. Eine wirksame Verankerung und Durchsetzung jugendlicher Interessen und Themen ist aber weitaus besser in „konzertierter Aktion“ möglich: gemeinsam mit den sozialpädagogischen Fachkräfte der kommunalen und auch mit den Vertreter/innen der verbandlichen Jugendarbeit (und weiteren Verbündeten).

Können Jugendliche nicht viel überzeugender Jugendpolitik selbst gestalten?

 Letztlich wissen Jugendliche (sofern  man sie denn überhaupt als einheitliche Zielgruppe sehen kann) natürlich am besten über ihre Interessen und Themen Bescheid. Allerdings sind diese Interessen immer mit den Abläufen und Strukturen der Politik zu vermitteln. Hierbei kann die Jugendarbeit mit ihrem (hoffentlich vorhandenen Insider-Wissen) unterstützend tätig werden. Jugendliche und Jugendarbeit haben jeweils spezifische Vor- aber auch Nachteile in der Umsetzung von (kommunaler) Jugendpolitik; es geht darum, die Nachteile auszugleichen und die Vorteile zu bündeln.

Welche Bedeutung hat Jugendbeteiligung beim Lobbying?

Jugendbeteiligung hat dort ihren Sinn, wo Jugendliche sich direkt (unkonventionell, ohne Dienstweg, ohne Genehmigung) an die kommunalen Entscheidungsträger und an die Medien wenden und ihre Interessen unmittelbar vertreten können. Sie hat zudem dort ihren Sinn, wo Jugendliche in der Problemlösung direkt einbezogen und insofern auch mit in die Verantwortung genommen werden.

Welchen Beitrag können die AkeurInnen der Jugendarbeit für mehr Jugendbeteiligung leisten?

 Sie können zunächst einmal die einschlägigen Paragraphen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (§ 1, § 8 SGB VIII) ernst nehmen. Aber das allein wird nicht reichen. Die traditionellen sozialpädagogischen Instrumente sind zu ergänzen durch kommunalpolitische und politikstrategische Maßnahmen. Gerade in den letzen beiden Bereichen hat die Jugendarbeit noch viel Nachholbedarf; denn bei Beteiligung geht es nicht (nur) um freundliches Gewähren lassen auf einer netten Spielwiese, sondern um Durchsetzung von Interessen auch gegen Widerstände. Das wird spätestens deutlich, wenn auch um Ressourcen und Finanzen gestritten werden muss.

Nennen Sie drei gute Gründe, warum es ein Gewinn für die Kommune ist, wenn Kinder und Jugendliche „Lobbyisten“ in eigener Sache werden?

1. Beteiligung wirkt als identitätsstiftender „Heimat- und Haltefaktor“ – was gerade in Zeiten des demografischen Wandels von erhöhter Bedeutung ist.
2. Die Übergabe der Verantwortung an die nächste Generation von Staatsbürgern kann vorbereitet und geübt werden.
3. Die Kommune wird lebendiger und kreativer, als wenn nur lediglich die traditionelle „Honoratiorenpolitik“ verfolgt wird

 Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Udo Wenzl.

 Hinweis: Werner Lindner: Politikberatung und Lobbying für die Kinder- und Jugendarbeit. Hinweise für die praxisbezogene Umsetzung (in: deutsche jugend – Zeitschrift für Jugendarbeit, 60. Jg. Heft 1/ 2012, S. 18 – 26) oder auch in aktualisierter und ergänzter Variante auf der Homepage www.sw.fh-jena.de/fbsw/profs/werner.lindner/texte

Jetzt unterzeichnen für mehr Jugendbeteiligung!

von Udo Wenzl und Erik Flügge

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In Baden-Württemberg steht die Änderung der Gemeindeordnung an. Die unterschiedlichen Akteure im Land ringen dabei auch um den Verbindlichkeitsgrad der Jugendbeteiligung. Um den politischen Druck zu erhöhen, wurde eine Online-Petition gestartet.

Jugendbeteiligung ermöglicht das Erlernen der eigenen Wirksamkeit in unserer Demokratie. Damit trägt die Beteiligung von Jugendlichen nicht unwesentlich dazu mündige und demokratische Bürgerinnen und Bürger für unsere Gesellschaft zu gewinnen. Besonders in jungen Jahren werden demokratische Denkmuster entwickelt, daher ist es umso wichtiger Jugendbeteiligung in Baden-Württemberg rechtlich als MUSS zu verankern.

Ihr könnt beitragen, indem ihr unterzeichnet!

https://www.openpetition.de/petition/online/ja-zu-verbindlicher-kinder-und-jugendbeteiligung-in-baden-wuerttemberg

Jürgen Ertelt: Online-Beteiligung ist eine neue Qualität

Jürgen Ertelt ist Sozial- und Medienpädagoge und ausgewiesener Experte für ePartizipation. Für das Partizipationsblog analysiert er im Interview die Potentiale und Barrieren heutiger Formen der digitalen Bürgerbeteiligung. 

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Herr Ertelt, Sie sind Experte für Bürgerbeteiligung. Was ist der Gewinn dabei, Bürgerinnen und Bürger mitreden zu lassen?

Die repräsentative Demokratie bekommt eine Erweiterung durch mehr Bürgerbeteiligung. ParlamentarierInnen können mit verbessertem Hintergrund ihre Entscheidungen abwägen, Verwaltungen erhalten früh Signale über mögliche Problemlagen und die BürgerInnen haben im besten Fall ihre Interessen auch zwischen den Wahlgängen einbringen und zu ihren VertreterInnen adressieren können. Allerdings ist nicht jede Beteiligung von BürgerInnen eine sprichwörtliche Bürgerbeteiligung.

In Ihrer Arbeit entwickeln Sie vielfältige Modelle der e-Partizipation. Welche Kriterien muss ein solches Partizipationsmodell Ihres Erachtens erfüllen, damit produktive und echte Beteiligung entsteht?

Online-Beteiligung ist m.E. eine neue Qualität zur Erreichung von gesellschaftlicher Partizipation. Neben den Merkmalen für gelingende offline-Partizipation sind weiterreichende online-Bedingungen für gelingende Partizipation zu beachten.

Verkürzt lassen sich fünf Kriterien herausstellen:

  • Es muss einen Grund geben
  • Es gibt einen politischen Willen für „echte“ Beteiligung
  • Das Verfahren ist transparent nachvollziehbar und Inhalte bleiben dokumentiert
  • Information werden zur Meinungsfindung in verständlicher Form bereitgestellt (open data – Visualisierungen)
  • Es gibt eine im Voraus festgelegte Wirksamkeit des Prozesses ( z.B., dass die Eingaben im Rat behandelt werden)

Ist Liquid Feedback, wie es die Piratenpartei und der Landkreis Friesland für die Bürgerbeteiligung nutzen, ein Modell, das diese Kriterien erfüllt?

Eine Software alleine kann Gelingensbedingungen nicht bespielen, es ist eine Frage des gesamten Settings, der Rahmung des angelegten Verfahrens und der Dramaturgie des Prozesses. Liquid Feedback ist eine Interpretation des Liquid Democracy – Modells. Damit Demokratie aber tatsächlich im Fluss bleibt, braucht es verschiedene Werkzeuge, die modular miteinander kombiniert werden können. Ich bin mehr von den flexiblen Möglichkeiten der Softwarebasis „Adhocracy“ überzeugt, die auch Grundlage des von mir begleiteten Jugendangebots  ypart.eu ist.

Wie gelingt es Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass online-Kommunikation nicht „virtuell“ ist, sondern vergleichbar mit einem persönlichen Dialog?

Ich sehe, dass mittlerweile die Bedeutung von social media auf allen Etagen angekommen ist. Tatsächlich ist die dennoch verbreitete real-virtuell – Trennung zu überwinden. Es bedarf konkret stattfindender Beispiele, die Wirkung zeigen, und eine qualifizierende Übersetzungsleistung von Erklärbären, die „das Internet“ als Lebensraum-Teilmenge zeichnen.

Wie funktioniert das Zusammenspiel von sehr schneller Aktion und Reaktion im Netz und der Langsamkeit von politischen Entscheidungs- und Verwaltungsprozessen?

Zu jedem angelegten Beteiligungsverfahren gehört eine Zeitleiste der Meilensteine und Prozess-Stationen. Auch online braucht es Bedenkzeit und Raum für längere Diskussionen und vielfältige Ideen-Sammlungen. Vieles ist von den angelegten Themen abhängig, – Liegenschaftsplanungen und Verkehrsanliegen z.B. brauchen einen sehr langen Atem. Es ist Aufgabe der Informationsbereitstellung diese Faktoren ungeschminkt darzulegen. Zur Verbesserung des Zusammenwirkens sind Online-Verfahren besonders geeignet, wenn sie dem Erfolgskriterium Transparenz entsprechen und eine nachvollziehbare Dokumentation auffindbar archivieren.

Wer sind die Teilnehmenden von e-Partizipation? – Welche Zielgruppen können gut erreicht werden und welche nicht?

Es gibt die Vermutung, dass denen die präsent sind, noch mehr gegeben wird. Beteiligungsprozesse müssen stets von einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden um breit zu streuen. Am besten wirken virale Effekte in social networks. Immer brauchen wir Begeisterung weckende Animateure, die als Überzeugungstäter auch verhaltensoriginelle und benachteiligt gehaltene Menschen bewegen können – online und offline.

Wie hoch ist der Aufwand, um sich im Netz zu beteiligen? Werden e-Partizipationsverfahren dominiert von Menschen, die den ganzen Tag online sind und zu viel Zeit haben?

Die Kritik der Bevorzugung sog. Zeitreichen bei ePartizipation ist entgegenzusetzen, dass der Besuch einer analogen Rathaus-Versammlung oder des Partei-Stammtisches im Gasthof mindestens ein ähnliches Zeitbudget für Engagement verlangt. Vorteil der Online-Beteiligung ist hier die Möglichkeit, unabhängig von Raum- und Zeit – Terminierung punktuell nach meinen Interessen einzubringen. Erfolgsgrundlage dafür ist ein niederschwelliges Angebot mit geschmeidigen Benutzungsoptionen bei gleichzeitig lückenlosem Archiv.

Wenn im Netz Abstimmungsverfahren geplant sind, wie können diese dann betrugssicher durchgeführt werden?

Ich bin ein Verfechter für pseudonyme und datenarme Zugangsmöglichkeiten bei Beteiligungsverfahren. Es geht um die Ermittlung von Interessen-Tendenzen und nicht um Wahlentscheidungen;  Manipulationsversuche werden schnell vom social media – Schwarm enttarnt. Streuungen der Teilnehmenden über die adressierte Region hinaus können dabei produktiv sein: Menschen leben heute mobil in einem fragmentierten Lebensalltag, der bei Schule, Arbeit und Soziales unterschiedliche „Gebietskörperschaften“ quert und „Heimat“ nicht an die Ausweis-Adresse festmacht. Und, jede gute Idee –egal woher – ist hilfreich für ein verbessertes Ergebnis.

Abstimmungen im Rahmen von Bürgerbeteiligungen sind in einer repräsentativen Demokratie ein Problem. Wie können die freien Mandate von gewählten Vertreterinnen und Vertretern mit dem zusätzlichen demokratischen Mittel der online-Bürgerbeteiligung zusammen gedacht werden – zumal, wenn nicht alle Bürgerinnen und Bürger online sind?

Nun, alle BürgerInnen haben grundsätzlich Zugang zu Online-Verfahren, mindestens so zugänglich wie zu analogen Konsultationen. MandatsträgerInnen sollten die neuen Möglichkeiten zur Ausbildung ihrer Positionen als parlamentarische VolksvertreterInnen zum Vorteil bei der Problemanalyse und als Nahrung für Lösungskompetenz schätzen lernen. Gleichzeitig versichern sie durch Begründung ihrer Entscheidungsfindung als Rückkopplung in das Beteiligungsverfahren die Glaubwürdigkeit als PoltikerIn, die uns zu oft verloren gegangen ist.

Zum Schluss noch eine ganz konkrete Frage: Wenn Sie sich ein Projekt wünschen könnten, wie würde dieses dann aussehen?

Ich arbeite an Online-Beteiligungsverfahren, die auf mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets als georeferenziertes Initiativsystem angelegt sind. Anders als bei „Mängelmeldern“ sind hier Ideen für „Weltverbesserung“ gefragt, die auf ein komplexes Backend von Verwaltungsresonanzen stößt. Kern sind ein schneller Reaktionstakt und ein angestoßener Vorgang, der öffentlich dargestellt und diskutiert wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Erik Flügge.

Jürgen Ertelt erreicht ihr via facebook oder folgt ihm einfach auf twitter!

Landrat Rückert: „Du darfst und sollst dich einbringen!“

Interview mit Landrat Dr. Klaus Michael Rückert Zur Rückschau nach der ersten Kreisweiten Jugendkonferenz am 26.04.2013 in der Kleinsporthalle des Beruflichen Schulzentrums Freudenstadt.

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Herr Dr. Rückert, was war Ihre Motivation, zum 40-jährigen Kreisjubiläum eine Jugendkonferenz durchzuführen?

Traditionell geht der Blick bei Bestandsjubiläen immer zurück auf das Erreichte, auf vergangene Zeiten, prägende Ereignisse und Menschen. Bei unserem diesjährigen Landkreis-Jubiläum wollten wir die wichtige Rückschau durch den Blick auf unsere Zukunft erweitern – dabei lag es nahe, die Bevölkerungsgruppe einzubinden, die den größten Anteil an dieser Zukunft hat: Jugendliche des Landkreises Freudenstadt.

Generell gewinnt das Thema „Jugendbeteiligung“ an Bedeutung und auch ich bin der Überzeugung, dass eine größere Jugendbeteiligung unserer Gesellschaft zuträglich sein kann. Durch eine solche Beteiligung kann vermittelt werden, dass eine demokratische Gesellschaft seinen Bürgerinnen und Bürgern Gestaltungsmöglichkeiten einräumt – und gleichzeitig auf das daraus erwachsende Engagement angewiesen ist: „Du darfst und sollst dich einbringen“. Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger im Staat liegen hier nah beieinander.

Die Jugendkonferenz hat mit 120 Jugendlichen aus dem gesamten Kreisgebiet stattgefunden. Wie haben sie die Jugendkonferenz erlebt?

Ich habe engagierte Jugendliche erlebt, deren Willen, sich in die Lebenswirklichkeit des Landkreises einzumischen und diese mitzugestalten wirklich beeindruckend war. Aber nicht nur das Interesse war wirklich hoch, sondern auch die Sachkenntnis. Viele Themen wurden in einer bemerkenswerten Tiefe besprochen. Natürlich war auch das ein oder andere Thema dabei, dessen Realisierung mangels Zuständigkeit des Landkreises oder passender Umstände recht unwahrscheinlich ist. Aber hier gilt, dass der Gedanke erst später an der Praxis gemessen werden sollte und nicht aus der Praxis hergeleitet.

Interessant war auch die offene Struktur der Beteiligungsmöglichkeit. Jeder und Jede konnte sich entsprechend den eigenen Kenntnissen und Interessen in eine Gruppe einbringen, die daraus dann den Nutzen zog. Man konnte sich auch bei unterschiedlichen Themen einbringen oder nur lauschen. Letztendlich wurden alle Aufgaben und Themen des Landkreises, die zur Diskussion standen, auch bearbeitet.

Was waren die zentralen Botschaften der Jugendlichen an die Kreispolitik?

Information stand ganz oben auf der Wunschliste der Jugendlichen. Zugegebenermaßen hätte ich das zunächst nicht erwartet. Vielfach hört man, dass die Themen der Landkreisverwaltung – der Verwaltung generell – wenig Anklang bei Jugendlichen finden. Bei dieser Jugendkonferenz hat sich das Gegenteil gezeigt. Natürlich war die Bereitschaft an der Jugendkonferenz teilzunehmen ein Indikator für erhöhtes Interesse, aber das Ausmaß des Informationsbedürfnisses hat mich dann doch überrascht. Gefordert wurde, mehr über kommunalpolitische Themen zu informieren, da das die Grundlage für jede Beteiligung ist. Wie das Informationsbedürfnis befriedigt werden kann, sollte in der nächsten Zeit erörtert werden.

Ebenfalls wurde sehr deutlich, dass die Jugendlichen gar nicht so unzufrieden mit dem ländlichen Raum sind, wie es „landläufig“ kolportiert wird. Vielmehr gibt es eine weitgehende grundsätzliche Zufriedenheit mit dem Leben im Landkreis Freudenstadt – die aber auch keinesfalls in Stein gemeißelt ist. Jugendliche schätzen Konzerte, Disco und Kartbahnen ebenso wie Wald und Wiesen, Heimatverbundenheit und naturnahe Freizeitaktivitäten. Ein junger Mann schwärmte zum Beispiel über einen unserer hiesigen Radwege. Kritik gab es im Zusammenhang mit den hiesigen Einkaufsmöglichkeiten. Auch das kam deutlich an. Wir haben hier einen sehr guten Einzelhandel – dennoch fehlt wohl auch die eine oder andere Bekleidungskette, die die Nachfrage junger Menschen bedient.

Wie geht es jetzt nach der Jugendkonferenz weiter?

Zunächst werden die Ergebnisse der Jugendkonferenz noch von den Studenten, die diese Konferenz begleitet haben, verdichtet und aufbereitet. Die Jugendlichen selbst stellen diese Ergebnisse dann im Sommer im Kreistag vor. Dieser entscheidet dann, welche Themen auf welche Weise aufgegriffen werden – und wie es mit der Jugendbeteiligung auf Landkreisebene weitergeht, wenn der Aufhänger „40 Jahre Landkreis Freudenstadt“ ausgedient hat. Ich würde mich freuen, wenn sich eine Form der Jugendbeteiligung auf Landkreisebene bei uns etablieren könnte.

Nennen Sie drei gute Gründe, warum es für einen Landkreis ein Gewinn ist, wenn Sie regelmäßig mit den Jugendlichen im Austausch steht und die Jugendlichen eine Möglichkeit der Beteiligung und Mitwirkung haben?

Diese drei Gründe kann ich nur erahnen, da der Landkreis Freudenstadt trotz dieses Pilotprojekts „Jugendkonferenz auf Landkreisebene“ bisher keine Erfahrung mit einer regelmäßigen Beteiligung von Jugendlichen hat. Wenn es aber erlaubt ist, unter den „Gründen“ auch Vermutungen anzuführen, würde ich sagen, der Gewinn des Landkreises liegt darin, das sich die Gesellschaft, die hier lebt, weiter verbindet. Beteiligung von jungen Menschen schafft Verständnis für Bürgerliche Rechte und Pflichten, kann viel Tatkraft innerhalb der jungen Bevölkerung generieren und ist durch die Zusammenkunft von Menschen mit unterschiedlichsten soziodemographischen Merkmalen auch eine Möglichkeit für Begegnung und Austausch.

Das Interview führte Udo Wenzl.

Landtagswahlen ab 16 in Schleswig-Holstein

von Erik Flügge

jetzt ist es amtlich, Jugendliche ab 16 Jahren können ab der nächsten Wahl über die Zusammensetzung des Landtages mitentscheiden. Damit setzt das nördlichste Land der Bundesrepublik einen bundesweiten Trend der Wahlaltersenkung fort.

Eigentlich ist es logisch, dass junge Menschen auch den Landtag mitwählen können sollten. Schließlich ist keine andere Gruppe in der Bevölkerung so sehr und so einschneidend von landespolitischen Entscheidungen abhängig wie die Schülerinnen und Schüler. Denn Bildungspolitik ist Ländersache und damit bestimmt der Landtag über wesentliche Teile jugendlichen Lebens.

Die Wahlaltersenkung kann jedoch nur der Anfang sein. Jugendringe in Deutschland fordern schon länger das Wahlalter 14 und eine ganze Gruppe von Bundestagsmitgliedern aus allen Fraktionen fordern das Wahlalter 0. Eines ist klar, der Trend geht dazu junge Menschen früher als mündige Teile der Gesellschaft zu betrachten. Das ist richtig so.

Wahlaltersenkung in Baden-Württemberg: Jetzt geht die Arbeit erst los!

von Erik Flügge

Es ist soweit! Soeben hat der Landtag von Baden-Württemberg die Absenkung des Wahlalters bei den Kommunalwahlen auf 16 Jahre beschlossen. Aber damit ist die Arbeit noch nicht vorbei, sondern sie hat gerade erst begonnen. 

Wir senken das Wahlalter und dann haben wir mehr Demokratie, ist ein zu einfacher Schluss. Die Absenkung des Wahlalters bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre ist ein wichtiges Signal für die Beteiligung junger Menschen, aber sie reicht bei weitem nicht aus. Die heutige Entscheidung des Landtages muss flankiert werden durch Maßnahmen der politischen Bildung, durch Vorbereitung und durch Unterricht. All das ist bisher nur vage Absicht, aber nicht ausreichend konkret geplant.

Der Entschluss des Landtages verpflichtet zu mehr. Er verpflichtet die unterschiedlichen Akteure im Land jetzt aktiv zu werden. Durch viele Einzelmaßnahmen in den Städten und Gemeinden im ganzen Land. Jugendliche wollen befähigt werden, um sich mündig zu entscheiden. Das gelingt nicht nur durch politische Kampagnen, sondern vor allem durch politische Bildung.

Konkret heißt das:

– Bildungsplan umstricken, damit das Thema „Politik in der Kommune“ nicht erst in Klasse 8 kommt.

– Flächendeckende Förderung von ECHTER Jugendpartizipation im ganzen Land, damit Jugendliche positive Erstkontakte mit der Kommunalpolitik erleben können.

– Entwicklung von Methoden zur politischen Bildung und von Begleitmaterial zur Landtagswahl.

Bürgermeister Brütting: Bürgerinnen und Bürger wollen anlassbezogen überzeugt und motiviert werden.

Frederick Brütting ist Bürgermeister in der baden-württembergischen Kleinstadt Heubach und will sein Amt im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern seiner Stadt ausführen. Im Interview erklärt er, wie Bürgerbeteiligung auch in ärmeren Kommunen gelingen kann. 

Frederick Brütting

Herr Brütting, Sie sind Bürgermeister der 10.000-Einwohner Stadt Heubach in Baden-Württemberg. Bei einer Stadt dieser Größe kommen Sie mit einer Großzahl ihrer Bürgerinnen und Bürger direkt in Kontakt. Wie wichtig ist Ihnen der Dialog mit der Stadtbevölkerung?

Ich erlebe, dass es entscheidend für die Akzeptanz von kommunalpolitischen Entscheidungen ist, dass diese gut erklärt werden und man die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig einbezieht. Damit wird ein enger Kontakt zur Voraussetzung für das Gelingen von Projekten – von Großen wie von Kleinen. Insgesamt kann man sagen, dass für die meisten Projekte jeweils eine Art von Wahlkampf notwendig wird. Das Campaigning ist also nicht mehr nur auf die Zeit der Bürgermeisterwahl beschränkt. Bürgerinnen und Bürger wollen anlassbezogen überzeugt und motiviert werden.

Bürgerbeteiligungs-Skeptiker argumentieren oft, dass die meisten kommunalen Entscheidungen zu komplex sind, als dass sie von Bürgerinnen und Bürgern mitgestaltet werden könnten. Als wie informiert erleben Sie die Einwohner von Heubach?

Es ist die Aufgabe des Bürgermeisters, komplexe Sachverhalte verständlich zu erklären. In der Wahl der Medien muss man die jeweilige Zielgruppe im Auge haben. Ich nutze sowohl das Amtsblatt und den Stammtisch, als auch Facebook, Twitter und das Radio oder den lokalen Fernsehsender um die unterschiedlichen Milieus zu erreichen.

Heubach gehört nicht zu den reichen Kommunen, sondern muss aktuell deutliche Einschnitte hinnehmen, um den Haushalt zu sanieren. Kann Bürgerbeteiligung überhaupt gelingen, wenn es wenig zu verteilen, aber viel zu kürzen gibt?

Zu Beginn meines Wahlkampfes habe ich eine Bürgerumfrage gestartet. Die Bürger konnten verschiedenen Aufgaben unterschiedliche Prioritäten beimessen. Mit 80 Prozent Zustimmung liegt der Schuldenabbau an erster Stelle. Die Menschen wissen sehr genau, was die Stadt sich leisten kann und was nicht.

2011 wurde in Heubach eine Zukunftswerkstatt mit Bürgerinnen und Bürgern durchgeführt. Damals wurden Fragen aufgeworfen wie „Was ist gut in Heubach?“, „Was muss verbessert werden?“ und „Welche Visionen haben wir?“. Wurden die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger im Anschluss aufgegriffen und von der Verwaltung und dem Gemeinderat ernsthaft verfolgt?

Klare Antwort: Ja. Wir haben viele Forderungen umgesetzt. Zum Beispiel das Familienbüro, einen Wegweiser für Familien, mehr Zusammenarbeit unter den Vereinen, alternative Formen in der Jugendarbeit etc. Ich meine aber, dass Bürgerbeteiligung ein permanenter Prozess ist, der sich nicht nur auf eine Veranstaltung oder Werkstatt reduzieren sollte.

Die Stadt Schramberg im Schwarzwald macht gerade sehr gute Erfahrungen beim intergenerationellen Dialog zwischen Jugendlichen und Senioren, um die Stadt weiterzuentwickeln. Können Sie sich vorstellen, dass ein solcher Dialog auch in Heubach hilfreich sein kann?

Das Thema demografische Entwicklung ist das Megathema im ländlichen Raum. In Heubach wird sich die Zahl der über 80 jährigen bis 2030 verdoppeln. Dieser Dialog ist dringend notwendig. Wir werden das noch im laufenden Jahr konkret angehen. Ein erster Schritt ist bereits getan: Schülerinnen und Schüler unserer Schulen arbeiten im Rahmen einer Bildungspartnerschaft im Pflegeheim.

Sie sind 29 Jahre alt und haben sich entschieden als Bürgermeister in einer kleinen Stadt auf dem Land zu kandidieren und haben trotz starker Konkurrenz 67 Prozent der Stimmen erhalten. Was reizt Sie an der Kommunalpolitik auf dem Land?

Speziell in Heubach ist es die Verbindung einer wundervollen Landschaft mit tollen Sport- und Freizeitmöglichkeiten auf der einen Seite und einem Unterzentrum mit städtischem Charakter und einer industriellen Tradition. Außerdem spürt man hier die Auswirkungen von gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Entscheidungen sehr direkt. Das unmittelbare Feedback der Bürgerinnen und Bürger – positiv wie negativ – bringt einen auch persönlich weiter.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Erik Flügge.

Demokratie & Bildung innerhalb und außerhalb von Schule

von Erik Flügge & Marcus Syring

Die Schule dominiert die deutsche Bildungslandschaft allein schon dadurch, dass sie als einzige Bildungsagentur alle Jugendlichen unabhängig von sozialer Herkunft gleichermaßen erreicht und diese zur Teilnahme verpflichtet. Sie ist damit ein wesentlicher Akteur der politischen Bildung. Allerdings begrenzt der verpflichtende Charakter von Schule auch die Möglichkeiten zur politischen Beteiligung zu befähigen. Denn Beteiligung hat stets die freiwillige Bereitschaft zu eben dieser zur Voraussetzung. Dementsprechend definiert das Bundesjugendkuratorium in seiner Bildungsdefinition Bildung als einen Prozess, der nur im Zusammenspiel von innerschulischer und außerschulischer Bildung sein volles Potential entfaltet: Bildung heißt enden Subjekts, zielt immer ] Bildung kann nicht erzeugt oder gar erzwungen, sondern nur angeregt und ermöglicht werden als Entfaltung der Persönlichkeit Bildung ist ein Entfaltungsprozess des Subjekts in Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Anregungen und die Befreiung von (Bundesjugendkuratorium 2002: 164)

Die KMK-Expertise der Fachgruppe Sozialwissenschaften (Behrmann, Grammes, Reinhardt 2004) definiert fünf zentrale Ziele für die politische Bildung, die eng verknüpft sind mit dem Analysefähigkeit stärken, politisch-moralische Urteilsbildung unterstützen, Konfliktlösungs- kompetenzen befördern und Partizipation ermöglichen.

Erfolgreich lassen sich diese Ziele nur im Zusammenspiel zwischen dem strukturiert-simulativen Lernen in der Schule und dem kreativ-performativen Lernen außerhalb der Schule erreichen. Perspektivübernahme lässt sich dann erleben und erlernen, wenn sie selbst vollzogen wird und Partizipation wird dann eindrücklich, wenn sie nicht theoretisch thematisiert, sondern selbst betrieben wird. Damit ist politische Bildung nicht abstraktes Erlernen politischer Strukturen und Prozesse, sondern vor allem eine unterstützte eigene wirksame politische Aktivität im Jugendalter.

Ableitung allgemein-normativer Erkenntnisse: Gemeinsam zum Erfolg

Beteiligungsprozessen für Jugendliche müssen auch Schule in das Konzept mit einzubeziehen. Schule kann dafür werben sich an solchen Prozessen außerhalb der Schule zu beteiligen und die Zeitinvestition der Schülerinnen und Schüler belohnen. Darüber hinaus bieten Erfahrungen von politischer Wirksamkeit, aber auch produktive Krisen, in Beteiligungsprozessen Anlass, um im Unterricht aufgegriffen und nachbereitet zu werden. Mit einer erwartbar hohen intrinsischen Motivation der Schülerinnen und Schüler.
Erst durch die Verbindung von Jugendarbeit und Schule können die Bildungsdefinitionen von KMK und Bundesjugendkuratorium vollumfänglich realisiert werden. In der Verbindung selbst wird für die Jugendlichen ebenso deutlich, dass demokratische Partizipation und Mitbestimmung eine kontinuierliche Aufgabe ist.

Hier geht’s zum ausführlichen Artikel…

Literatur
Behrmann, Günther C., Grammes, Tilmann, Reinhardt, Sibylle (2004): Politik. Kern-Curriculum Sozialwissenschaften in der gymnasialen Oberstufe, in: Tenorth, H. (Hrsg.): Kerncurriculum

Oberstufe II. Biologie, Chemie, Physik Geschichte, Politik. Weinheim, S. 322-406. Bundesjugendkuratorium (2002): Streitschrift Zukunftsfähigkeit sichern! Für ein neues Verhältnis von Bildung und Jugendhilfe. Berlin.