Archiv für den Monat: August 2013

Oberbürgermeister Hager: „Die Jugendlichen sollen uns sagen, welche Themen für sie von Bedeutung sind“

Foto Herr Hager

Herr Hager, Sie sind Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim. Ihnen ist es ein wichtiges Anliegen, dass Jugendliche Politik für Pforzheim mitgestalten können. Welchen Weg sind Sie diesbezüglich gegangen?

Wir haben schon in den vergangenen Jahren intensiv den Kontakt mit den Jugendlichen gesucht. Im Rahmen unseres Masterplanprozesses waren meine Mitarbeiter in allen gymnasialen Oberstufen und an zahlreichen Haupt-, Real- und Berufsschulen, um Jugendliche für diesen Prozess zu interessieren. Aus diesem Prozess heraus fand die Idee, einen Jugendgemeinderat einzurichten, erhebliche Unterstützung. Seitdem sind wir eng mit den Jugendlichen in Kontakt und haben gemeinsam die Konzeption für den Jugendgemeinderat entwickelt.

Der Gemeinderat hat nun den Jugendgemeinderat beschlossen. Welche Wirkung wird der Jugendgemeinderat auf die Arbeit des „Erwachsenengemeinderates“ haben?

Die Jugendlichen sollen uns sagen, welche Themen für sie von besonderer Bedeutung sind. Wir möchten auch wissen, wie sie Vorgänge beurteilen. Der Rat und die Sichtweisen der Jugendlichen werden für viele Entscheidungen maßgeblich sein. Denn im Gemeinderat treffen wir eine Vielzahl von Entscheidungen, die gerade die Jugendlichen in die kommenden Jahre hinein betreffen. Da drängt es sich geradezu auf, die Jugendlichen zu beteiligen.

Welches sind die nächsten Schritte zur Umsetzung des jugendlichen Rats?

Die Konzeption des Jugendgemeinderats wurde am 23.07.2013 im Gemeinderat beschlossen. Jetzt geht es konkret um die Wahlordnung. Diese möchten wir am 12.10.2013 im Gemeinderat zur Beschlussfassung stellen. Danach wird schnellstmöglich gewählt.

Wie wird es gelingen, die jugendliche Vielfalt in ihrer Stadt mit einzubeziehen?

Wir möchten diese Vielfalt so gut es geht auch im Jugendgemeinderat vertreten haben. Dabei brauchen wir die Unterstützung von Multiplikatoren, die die Jugendlichen zur Teilnahme an der Wahl motivieren. Wir werden also im Vorfeld z.B. an Schulen informieren oder auch die Nachwuchsorganisationen der Parteien um Unterstützung bitten. Außerdem gibt es Institutionen wie den Stadtjugendring, die uns helfen können. Selbstverständlich gilt es auch Jugendliche mit Migrationshintergrund für den Jugendgemeinderat zu interessieren. Das muss unser Ziel sein.

Zum zweiten Mal fand der jugendpolitische Tag mit den Jugendorganisationen der Parteien statt? Warum ist ihnen dieser Tag wichtig?

Die Jugendlichen von heute werden in den kommenden Jahren die Leistungsträger unserer Gesellschaft sein. Wir müssen Ihnen dazu die Rahmenbedingungen schaffen. Wir gestalten die Zukunft der Stadt zu einem großen Teil für die Jugendlichen und da ist es wichtig, dass wir wissen, was die Jugendlichen erwarten. Daher ist mir ein reger Austausch wichtig, wir müssen miteinander ins Gespräch kommen. Die Jugendorganisationen der Parteien sind dafür ideale Partner.

Die Türen des Pforzheimer Ratssaal sind offen für die junge Generationen der Stadt. Nennen Sie drei gute Gründe, welchen Gewinn eine Kommune hat, wenn Sie den Ratssaal für die junge Generation öffnen?

– Die Jugendlichen engagieren sich für ihre Stadt.
– Die Jugendlichen identifizieren sich mit ihrer Stadt.
– Die Jugendlichen binden sich an ihre Stadt.

Das Interview führte Udo Wenzl.

Ein neues Jugendhaus

Facebook in Beteiligungsprozessen – wie ein neues Jugendhaus online geplant wurde

– von Kristin Narr –

In Biberach, einer Kreisstadt in Oberschwaben mit rund 32.000 Einwohner, fand dieses Jahr etwas Außergewöhnliches statt: Jugendliche planten gemeinsam mit der Stadt das neue Jugendhaus. Ihre Wünsche und Entscheidungen, wie das Jugendhaus aussehen soll, diskutierten die Jugendlichen in einer Facebook-Gruppe.

Beteiligungsprojekte wollen sich oftmals an den erreichten Zielen und der Wirksamkeit ihrer Arbeit messen. Diese Wirksamkeit stellt gleichzeitig eine große Herausforderung für diese Projekte dar. Eine Herausforderung stellt die Frage dar, wie die Wirksamkeit gemessen wird, wo sie anfängt und aufhört. Aber es existieren Projekte, die diese offensichtliche Wirksamkeit am Ende des Projektzeitraums haben und ihre gesetzten Ziele sichtbar gemacht werden können. Das Jugendbeteiligungsprojekt in Biberach ist eines dieser Projekte. Jugendliche brachten sich in einem mehrmonatigen Prozess mit Hilfe einer Facebook-Gruppe in die Planung ihres neuen Jugendhauses ein, das anschließend von der Stadt umgesetzt wird.

Erik Flügge (Squirrel & Nuts) hat diesen Prozess gemeinsam mit seinen Kollegen begleitet und moderiert. Im Interview erinnert er sich an den Anfang: „In Biberach war es recht ungewöhnlich. Das Hochbauamt bzw. der Baubürgermeister hatte von unseren Projekten gehört und uns direkt angefragt. Sie wollten möglichst viele Jugendliche unterschiedlichster Bildungshintergründe einbeziehen und etwas mit Social Media machen. Am Ende sollte ein baurechtlich tragfähiges Verfahren herauskommen.“

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Erik Flügge, Geschäftsführer bei Squirrel & Nuts (Foto by Squirrel & Nuts) 

Im Mittelpunkt des Projekts stand die gemeinsame Planung des neuen Jugendhauses in Biberach. Dafür wurden insgesamt vier Architekturbüros beauftragt, in den direkten Wettbewerb gegeneinander anzutreten und zunächst verschiedene Entwürfe zu erstellen. Anschließend wurden die Pläne von den Jugendlichen bewertet und weiterentwickelt. Eigene Wünsche konnten geäußert und so die Planung aktiv mitgestaltet werden. Am Ende soll ein Architekturbüro den eigentlichen Auftrag bekommen.

Der eigentliche Dialogprozess mit den Jugendlichen erstreckte sich vom 12. März bis 8. Juli 2013 und war umrahmt von zwei Offline-Veranstaltungen, zum Auftakt des Projekts und um am Abschluss ein Endergebnis zu präsentieren. Im Sommer sollen die Ergebnisse aus einem Votum der Jugendlichen ausgewertet und nochmals auf fachliche Ansprüche an das Jugendhaus geprüft werden.

Kein Modellprojekt, aber ein Projekt von dem man viel lernen kann

Das Projekt in Biberach zeichnet durch seine interessante Konzeption und günstigen Voraussetzungen aus. Sowohl das Hochbauamt, das Kulturamt als auch die örtliche Jugendarbeit trugen den Prozess gemeinsam und waren sich vorab einig, dass sie alle an einem Strang ziehen. „Und genau das“, so Flügge, „war der ausschlagende Punkt, dass das Projekt ein Erfolg für die ganze Stadt wurde.“ Vor dem Start des Projekts wurden vorbereitende Klärungen, wie Zeittaktungen, Abläufe, Verbindlichkeiten und Beschlüsse vom Gemeinderat verabredet und Vereinbarungen über den Grad der Beteiligung der einzelnen Akteure getroffen. So wurde auch vorab geregelt, dass die Online-Moderation mit den Jugendlichen nur von Flügge und seine Kollegen übernommen wird und weder die Stadt noch die Architekten dort aktiv sind und Einfluss nehmen.

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Auftaktworkshop mit Jugendlichen in Biberach (Foto by Squirrel & Nuts)

Neben dem online-basierten Prozess wurde ein Baukolloquium, eine Art Bauaufsicht, bestehend aus Architekturprofessoren und Vertretern des Hochbauamtes, ins Leben gerufen. Die Aufgabe des Baukolloquiums bestand in der Prüfung, ob der Auftrag erfüllt worden ist, sprich ob das Gebäude von der architektonischen Seite her stimmig ist und ob es finanzierbar wäre.  „Gerade mit den Architekturprofessoren von der Hochschule in Biberach ist der Dialog besonders spannend. Als Architekten entwerfen sie üblicherweise ein Bild oder ein Szenario, von dem sie annehmen, das es der spätere Nutzer auch so haben möchte“, so Flügge, „In Biberach hatten wir einen anderen Prozess. Sie bekamen schon während der Planung vom Nutzer selbst ein direktes Feedback darüber, was er versteht und was er nicht versteht.“

Online-basierte Verfahren – Facebook für Beteiligung nutzbar machen

Losgelöst vom konkreten Projekt in Biberach und expliziter Ziele, hat Erik Flügge schon an vielen Stellen zuvor, das Bedürfnis gehabt, eine Nachhaltigkeit in den Dialog zu bringen. Social Media bieten dafür zunächst die besten Voraussetzungen, indem die Jugendlichen dort weiterreden können. Das Problem besteht, so Flügge, oftmals in der konkreten Ausgestaltung des Prozesses. Flügge ist der Meinung, „dass die Pädagogen vor Ort, die gute Arbeit mit Jugendlichen machen, sich schwertun, diese Arbeit online fortzusetzen. Ich glaube, es liegt daran, dass es in Schriftform ist. Die Schriftform löst bei Leuten, die ein professionelles Arbeitsumfeld haben, das Gefühl aus, dass sie richtige Dinge schreiben müssen. Oft schreiben sie so, dass man ihnen nachher keinen Strick daraus drehen kann. Sie verlieren ihre Lockerheit und reden in Social Media nicht so wie mit ihren Jugendlichen im Jugendhaus. Viele Jugendarbeiter sind mit der Idee groß geworden, dass persönlicher Kontakt tatsächlich persönliche Begegnung braucht“.

Der Schlüssel liegt sicherlich darin, dass Jugendarbeiter insgesamt mutiger sein müssten, indem sie auch Internet authentisch sind und online genauso kommunizieren wie sie es offline tun. Jugendliche machen dabei oft keine Trennung zwischen Online- und Offline-Welt. Die Herausforderung besteht daher seitens des Jugendarbeiters zu merken, „an welchen Stellen sie intervenieren und Dinge noch einmal erklären bzw. einen pädagogischen Auftrag wahrnehmen und an welchen Stellen sie zulassen, dass Jugendliche Jugendliche sind und dass sie ihre eigene Sprache benutzen, so unüberlegt wie sie auch manchmal sein mag“, meint Flügge.

Die Kommunikation der Jugendlichen in Biberach wurde über eine geschlossene Facebook-Gruppe organisiert, in der sie unter sich sind und bis auf die Moderatoren keine Erwachsenen teilnehmen durften. In dieser Gruppe konnten sie kommentieren, kritisieren und neue Vorschläge machen. Diese Rückmeldungen wurden an die Architekturbüros weitergeleitet. Auf dieser Grundlage wurden neue Vorschläge gemacht.

Squirrel & Nuts organisierte den Prozess mit jungen Moderatoren, die wenig älter als die Jugendlichen waren, die für das Projekt gewonnen werden sollten. Das Team agiert viel näher an der Lebenswelt der Jugendlichen, versteht deren Kommunikationsverhalten. Gleichzeitig sind sie allerdings selbst im Dialog mit Kommunen und offiziellen Verwaltungen erfahren. Die Moderatoren wurden zusätzlich von Leuten unterstützt, die einen pädagogischen Hintergrund haben und in schwierigen Fällen, wie Cybermobbing, professionelle Hilfe geben konnten. Mit Hilfe der Moderatoren wurde der Prozess aufrechterhalten und sichergestellt, dass der Dialog mit immer wiederkehrenden Beteiligungsmöglichkeiten und neuen Diskussionen aktiv bleibt.

Die Facebook-Gruppe zählte weit über 800 Mitglieder. Über die Hälfte der Jugendlichen war im Zuge des Projekts mindestens einmal aktiv, sei es in einer Abstimmung, durch ein „Liken“ oder Kommentieren. Flügge konnte zudem beobachten, dass sie in die Kommunikation ein- und wieder aussteigen: „Ich finde es besonders interessant, dass sie sehr oft aussteigen, wenn sie was erreicht haben. Das Erreichen einer Sache sorgt nicht dafür, dass sie sich weiter aktivieren lassen, sondern, dass sie ihr Anliegen jetzt kommunizieren konnten und dann anderen den Raum überlassen.“ Darüber hinaus erwies sich der Auftakt in Form einer Offline-Veranstaltung als günstige Voraussetzung, dass sich viele und unterschiedliche Jugendliche am Online-Prozess beteiligten. Der Kontakt wurde hergestellt und zum einen in der Facebook-Gruppe durch die offensichtliche Wirksamkeit intensiviert, zum anderen durch persönliche Empfehlungen innerhalb der Jugendlichen in Biberach weitergetragen.

Ein online-basierter Beteiligungsprozess, der auch politisch ist

Das Projekt in Biberach zeigt, wie wichtig Beteiligungsprozesse für die Kommunalpolitik sind. Das Interesse junger Menschen für Politik wird geweckt, weil sie erkennen, dass es auch für die interessant und relevant sein kann. Jugendliche kennen ihre eigenen Themen am besten, oftmals bekommen sie allerdings keine Zugänge oder kennen die Strukturen von Politik nicht, so Flügge. Seitens der Jugendlichen ist das grundsätzliche Interesse und die Bereitschaft, wirksam zu werden vorhanden. Sie brauchen die geeignete Schnittstellen und die Bereitschaft der Politik, sich darauf einzulassen.

Die Diskussion um die „Schnitzelgrube“ zeigt das recht deutlich. Im Zuge der Online-Diskussion kam der Wunsch auf, im künftigen Jugendhaus ein Loch, das mit Schaumstoffstücke gefüllt ist und in das man hineinspringen kann, einzubauen. „Erstmal war klar, dass das aufgrund der geplanten Mehrfachnutzungen des Hauses, u.a. für Mutter-Kind-Gruppe, nicht zu realisieren ist. Wir haben dann ein Treffen zwischen dem Baubürgermeister und einem Jugendlichen organisiert, damit der Baubürgermeister dem Jugendlichen erklärt, dass das nicht möglich ist, diese Schnitzelgrube einzubauen. Das Interessante ist, dass der Jugendliche in diesem Gespräch den Bürgermeister überzeugt hat, denn er argumentierte, dass man auch eine Abdeckung über das Loch machen kann und es zusätzlich auch spannend für motorische Übung mit kleineren Kindern sein kann.“ Am Ende der Gespräche stand fest, dass die Schnitzelgrube in den Planungen weiterhin berücksichtigt wird.

„Insgesamt“, so Flügge, „macht das Projekt ganz viel mit der Stadt, dem Oberbürgermeister und dem Baubürgermeister, denn sie haben durch die neuen Dialogformen ein noch viel stärkeres Interesse für Bürgerbeteiligung gewonnen. Offensichtlich motiviert es Politik, wenn es Beteiligungsprozesse gibt, in denen nicht nur die üblichen Verdächtigen mitmachen, sondern die sich weit darüber hinaus ausdehnen.“

Am Ende steht ein Projekt, an dem Jugendliche maßgeblich beteiligt waren. Sie sind diejenigen, die ihre Empfehlungen an den Gemeinderat abgeben. Das Abschlussvotum liegt bei den verantwortlichen Entscheidern, setzt sich allerdings maßgeblich aus den Diskussionen, die die Jugendlichen geführt haben, zusammen, da es „keinen Vorschlag mehr gibt, der nicht von Jugendlichen mitgestaltet wurde.“

Dieser Bericht ist für das Projekt youthpart angefertigt worden und wurde zuerst im Rahmen des Dialog Internet veröffentlicht. Dieses Werk bzw. dieser Inhalt von Kristin Narr (ikosom) steht unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz. http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/

Kristin Narr arbeitet bei ikosom, dem Institut für Kommunikation in sozialen Medien. Dort beschäftigt sie sich mit den Themenfeldern Medienkompetenz, ePartizipation, Open Education und digitaler Kollaboration. Sie konzipiert und leitet medienpädagogische Workshops und Projekte mit Heranwachsenden, Lehrkräften sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Für Dialog Internet schreibt Kristin Narr Beiträge im Auftrag des IJAB e.V.