Archiv des Autors: Erik Flügge

Alternative zum Jugendgemeinderat? – Das Modell des 8erRat.

Das Modell des Jugendgemeinderates ist nur teilweise erfolgreich. In wenigen Kommunen ist die Parallelinstitution zum Stadt- oder Gemeinderat für Jugendliche dauerhaft eine lebendige Beteiligungsform. In zu vielen Kommunen sorgen die modellimmanenten Barrieren dafür, dass sich zu wenige und ausschließlich beteiligungsnahe Jugendliche engagieren.

Wo der Jugendgemeinderat gut funktioniert, soll er nicht in Frage gestellt, sondern unterstützt werden. Allerdings ist eines in jedem Fall klar: Das Modell der Jugendgemeinderäte ermöglicht es einigen wenigen – gewählten – Jugendlichen eine intensive Beteiligungserfahrung in ihrer Stadt zu machen. Sie gehen gestärkt und oftmals auch im Anschluss an ihr Ehrenamt als engagierte Bürgerinnen und Bürger aus dieser Beteiligungsform hervor. Das Interesse dieser Jugendlichen für Politik wurde geweckt.

Eine Gesellschaft, die allen jungen Menschen politische und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen will, muss sich zum Ziel setzen, konkrete politische Partizipationserfahrung nicht nur für wenige zu ermöglichen, sondern jedem Jugendlichen in der Kommune zugänglich zu machen.

Mit dem Modell des „8erRat“ haben die bundesweit anerkannten Jugendbeteiligungsexperten Erik Flügge und Udo Wenzl ein Modell entwickelt, das alle Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 8 in einem Kooperationsverfahren von schulischem Politikunterricht und außerschulischer Beteiligungsarbeit an Entscheidungen in der Kommune beteiligt.

Im 8erRat setzen sich die Jugendlichen für ein Jahr selbst ihre Agenda, werden in einem strukturierten Verfahren unterstützt und feiern gemeinsam nach einem Jahr ihren Erfolg. Damit trägt das Modell dem Trend zu projektorientierten Beteiligungsformen Rechnung und ermöglicht dennoch die intensive Einarbeitung in einen konkreten Beteiligungsgegenstand. Anknüpfend an den Bildungsplan und sein Thema „Politik in der Kommune“ eröffnet das Modell dem Politikunterricht dieses Thema erfahrungsorientiert zu unterrichten.

Wird das Projekt als kontinuierliche Beteiligungsform etabliert, so können über die Jahre hinweg alle Jugendlichen einer Stadt ihr Jahr der Beteiligung erlebt haben. Ehemalige Teilnehmende können die aktuellen Jahrgänge der Stufe 8 unterstützen. Verbände und Vereine können durch eine Anbindung an das Modell direkt ihre Angebote eines anschließenden Engagements in ihren eigenen Strukturen machen.

Mit diesem Modell trägt eine Kommune umfassend dem Anspruch Rechnung „hier und heute Kindern und Jugendlichen positive Beteiligungserfahrungen zu ermöglichen, damit sie auch später zu mündigen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern werden“ (Bertelsmannstiftung).

Auf der Suche nach jungen Kandidatinnen und Kandidaten

Auf der Suche nach jungen Kandidatinnen und Kandidaten

Von Udo Wenzl

Wer Volljährig ist und sich in irgendeiner Art und Weise schon in seiner Kommune engagiert hat, steht bei den erwachsenen Kommunalpolitikern hoch im Kurs: Die Listen für die Kommunalwahl werden derzeit erstellt. Und die jungen Bürgerinnen und Bürger einer Kommune? Haben diese überhaupt eine Chance bei dem baden-württembergischen Kommunalwahlsystem gewählt zu werden? Es ist nicht nur eine Frage des Listenplatzes alleine. Aber gerade auch aufgrund der Tatsache, dass wir ein „Kommunalwahlrecht ab 16“ haben, scheint die junge Generation stärker als bisher im Blick zu sein. Jugendliche, die schon positive Erfahrungen mit Beteiligung in ihrer Kommune gemacht haben, sind durchaus offen für weiteres politisches Engagement, wenn man sich sicher ist, dass sie auch in den nächsten fünf Jahren an ihrem Ort bleiben. Was kann getan werden, dass junge Menschen durchaus erfolgreich in den Gemeinderat einziehen? Eine Möglichkeit hierbei ist die Gründung einer eigenen jungen Liste:

„Ich wollte mich über Politik aufregen, aber ich wollte mich auch für Politik engagieren.“ (Zitat aus den Gruppendiskussionen mit den Engagierten von Jungen Listen in Baden-Württemberg)

Junge Listen sind … parteiunabhängige/überparteiliche Wählervereinigungen, die sich aus politikinteressierten jungen Menschen zusammensetzen. Hauptziel ihres Zusammenschlusses ist es, „junge Politik“ im Gemeinderat zu machen und die Interessen der jungen Generation in die politische Öffentlichkeit zu bringen.

„Ich halte unsere Strukturen momentan für sehr gut und vorbildlich, wenn Jugendliche darüber schon an Politik ran geführt werden und zu Entscheidungsprozessen (…) im Vorfeld beratend gehört werden (…) grundsätzlich halte ich das für einen günstigen Weg, die Überalterung des Gemeinderates und das immer wieder die gleichen Menschen im Gemeinderat sitzen aufzubrechen.“ (Zitat aus den Gruppendiskussionen mit den Engagierten von Jungen Listen in Baden-Württemberg)

Diese sehr allgemeine Definition zeigt die Tatsache auf, dass es ein einheitliches Bild von Jungen Listen nicht gibt. Eine durchgeführte Recherche zu Jungen Listen hat gezeigt, dass es in Baden-Württemberg sehr unterschiedlich organisierte Junge Listengibt. In Bayern haben sie eine klare CSU Orientierung. Junge Listen z.B. in Nordrhein-Westfalen verstehen sich eher als linkspolitisch orientierte Liste. In Baden-Württemberg kam ein wesentlicher Impuls zur Gründung der Jungen Listen von der Jungen Union. Heute überwiegen die parteiungebundenen Zusammenschlüssen als Wählervereinigung.

Zwischen 1984 und 2004 wurden die meisten Jungen Listen gegründet. 2004 waren es 20 junge Listen, die erfolgreich in den Kommunalparlamenten vertreten waren. 2009 waren es schon wieder weniger, da einige Listen keinen eigenen Nachwuchs mehr gefunden haben.

Junge Listen sind mehr als nur ein paar junge GemeinderätInnen in Kommunalparlamenten. Sie verfügen meistens über eine Basis (häufig in Form eines eingetragenen Vereins) in den Kommunen, im Gemeinwesen. Die Junge Liste ist häufig eine jugendpolitisch aktive Gruppierung, die Teil eines gesamten jugendpolitischen Netzwerkes ist. Über einzelne gewählte junge Erwachsene ist eine Verzahnung des jugendpolitischen Netzwerks direkt mit dem Gemeinderat gesichert.

„Die Themen werden durch die Gemeinderatsarbeit vorgegeben, aber was wir uns von Anfang an vorgenommen haben, die Interessen der jungen Generation stärker in den Gemeinderat hinein zu tragen.“ (Zitat aus den Gruppendiskussionen mit den Engagierten von Jungen Listen in Baden-Württemberg)

Junge Listen werden im Vorfeld einer Wahl medial sehr wahrgenommen, da das Zusammenfinden junger Menschen und die Gründung einer eigenen Liste als ein interessantes Vorgehen bewertet wird. Die jungen KandidatInnen sind somit mit ihrer eigenen Liste wahrnehmbar. Und das wird auch von vielen erwachsenen WählerInnen wahrgenommen und auch honoriert. Die letzten Wahlen haben auch gezeigt, dass einzelne Listen von Wahl zu Wahl mehr Plätze dazugewonnen haben. Es gibt noch viele Informationen zu Jungen Listen und wer Lust bekommen hat, sich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen, der findet umfassende Infos zu Jungen Listen in Baden-Württemberg unter www.junge-listen.de

Jugendliche mobilisieren: Das Modell der Schulthementage

von Erik Flügge

370 Jugendlicher aller Schularten und Schulen aus Pforzheim kommen zusammen, um über ihre Stadt zu sprechen. Sie alle haben Anliegen ihrer Klassenkameradinnen und Klassenkameraden mitgebracht. Insgesamt werden so an einem Tag die Interessen von mehr als 4.000 Jugendlichen zusammen getragen. Ein Erfolg, der innerhalb von nur zwei Monaten möglich wurde.

Der Weg zu einem Jugendgemeinderat ist oft lang und steinig. Unterschiedliche Gremien, Fachämter und Funktionsträger müssen einbezogen werden und die innere Logik der Verwaltungen verlangt nach formal-rechtlicher Korrektheit. So entstehen Prozesse, die sich oftmals über viele Monate, gar Jahre ziehen, bis am Ende ein rechtlich korrekter mit Geschäftsordnung und Satzung ausgestatteter Jugendgemeinderat steht. Allerdings fehlt dann noch eines: Die Kommunikation mit der Gesamtheit der Jugendlichen.

Wie erreicht man heute noch Jugendliche? Via facebook oder whatsapp oder mit Flyern und Plakaten. Die Reichweiten beim Thema Jugendbeteiligung und Politik sind begrenzt. Denn nicht alle Jugendlichen interessieren sich für demokratische Teilhabe. Sie sind als junge Bürgerinnen und Bürger noch ungeübt mit der unserer demokratischen Staatsverfassung und haben weniger und schlimmstenfalls keine positiven Beteiligungserfahrungen in Elternhaus und Schule gemacht.

Dementsprechend schwierig ist es auf Flyer oder Soziale Netzwerke in der Kommunikation zu setzen. Denn jeder dieser Kommunikationsformen liegt das Prinzip der Viralität zu Grunde: Man muss darüber sprechen und es weitersagen, sonst kommt keiner. Viralität allerdings ist davon abhängig, dass jemand von der Sache an sich schon begeistert uns so sehr überzeugt ist, dass er oder sie es gerne und oft weitererzählt.

Die Konsequenz ist landauf, landab die gleiche: Die beteiligungsnahen, gut gebildeten Jugendlichen interessieren sich für die Jugendräte und aktivieren ihre Freundinnen und Freude für die Kandidatur und Wahlteilnahme und die Beteiligungsungeübten und Bildungsbenachteiligten bleiben unerreicht. Mit Politikverdrossenheit hat das nichts zu tun – denn der Verdrossenheit muss überhaupt erst mal ein Erstkontakt mit dem Politischen voraus gegangen sein.

Die Schulthementage knüpfen genau an diese Fragestellung an. Sie organisieren einen Prozess der wechselseitigen Verschränkung von schulischem Lernen und außerschulischer Beteiligung. Eine Form der Kooperation, die der Tübinger Schulpädagoge Marcus Syring „korrellative Kooperation“ nennt. Dieser Kooperationsform liegt ein selten in der Praxis umgesetzter Gedanke zu Grunde, der besagt, dass sowohl Schule, als auch der außerschulische Bereich jeweils einzigartige Stärken haben, die besonders im Zusammenspiel und in der wechselseitigen Anerkennung des anderen Lernortes zur Geltung kommen können.

In der Praxis heißt das: Die S&N Kommunalberatung bereitet gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern Unterrichtsentwürfe vor, die Beteiligung in der Kommune zum Unterrichtsthema werden lassen. Diese werden in Absprache mit der Stadtspitze und Schulleitungen parallel an allen Schulen einer Stadt in allen Klassen behandelt. Sie befassen sich mit Fragen der Kompetenzen einer Kommune und den einzelnen Anliegen der Schülerinnen und Schüler und münden in einer Wahl von Delegierten für ein zentrales Jugendforum.

 

Dort kommen Jugendliche aus allen unterschiedlichen Klassen und Schulformen zusammen, um ihre eigenen Anliegen und die ihrer Klassenkameradinnen und  – Kameraden miteinander zu diskutieren. Ein Diskurs über soziokuluturelle Unterschiede und Bildungsunterschiede hinweg – ganz im Sinne der deliberativen Demokratie nach Habermas. Eine Zusammenarbeitsform, wie sie besonders gut in außerschulischen Kontexten gelingt.

Die Kernkompetenz der außerschulischen Arbeit liegt allerdings in der Vermittlung eines glaubwürdigen Versprechens von Performativität. Im außerschulischen Raum sind Jugendliche eher geneigt den erwachsenen Akteuren Glauben zu schenken, dass ihre Artikulation von Anliegen nicht einem Einüben von Demokratie dient, sondern, dass die Debatte tatsächlich lebensweltverändernden und damit originär politischen Charakter hat.

Für viele Jugendliche kommt es in einem solchen Forum zu einem realen Erstkontakt mit dem Politischen.  Dieser wiederum motiviert ihren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden positiv von den Chancen der Beteiligung in der Kommune zu berichten. Im Resultat entscheiden sich aufgrund dieser Erfahrung und den Berichten über die Relevanz der eigenen Themen in der städtischen Politik viele Jugendliche für die Kandidatur zum Jugendgemeinderat und für weiteres politisches Engagement.

Die Veranstaltung wurde durchgeführt von der S&N-Kommunalberatung und moderiert von Erik Flügge, Udo Wenzl und Can Erdal. Auftraggeber war die Stadt Pforzheim. Prozessbegleiter der Stadt Pforzheim auf dem Weg zum Jugendgemeinderat war Udo Wenzl.

Die Logik des Gelingens der Jugendbeteiligung

von Udo Wenzl

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Herr Spiess, welche Bedeutung hat die „Logik des Gelingens“ für die Beteiligung von Kinder und Jugendlichen?

Die Logik des Gelingens umfasst eine effiziente und nachhaltige Vorgehensweise, um (zwischen-)menschliche Probleme zu lösen. Diese Vorgehensweise besteht aus 2 Schritten: (1) Entwirf, bevor du etwas veränderst, eine ganz konkrete Vorstellung davon, wie die Dinge sein werden, wenn das Problem gelöst ist! (2) Analysiere, bevor du etwas veränderst, was schon gut funktioniert!

Viele Menschen versuchen (zwischen-)menschliche Probleme mit einer Strategie zu lösen, die sich für technische Probleme bewährt hat: (1) Analysiere, bevor du etwas veränderst, die Ursachen des Problems! (2) Wenn du die Ursachen herausgefunden hast, verändere sie! Diese Strategie kann für die Lösung menschlicher Probleme manchmal nützlich sein. Sie ist jedoch sehr (zeit-)aufwändig und führt unter Umständen zu Ursachen, die wir nicht ändern können, sowie zu einer unproduktiven einseitigen Suche nach „Schuldigen“.

Wenn Menschen zur Lösung von (zwischen-)menschlichen Problemen der Logik des Gelingens folgen, gelingen ihnen häufiger allerseits befriedigende Lösungen. Dadurch erleben sie sich als selbstwirksam. Und genau das ist es, was die Motivation zur Mitwirkung an Beteiligungsprozessen begünstigt.

Was und wie können Kinder und Jugendliche in Beteiligungsprozessen lernen?

Im Rahmen von Beteiligungsprozessen können Kinder und Jugendliche lernen, dass sie „die Welt“ zu ihren Gunsten und in Auseinandersetzung mit anderen verändern können – und wie sie das am besten machen: eben in Orientierung an der Logik des Gelingens.

Was können ProzessbegleiterInnen dazu beitragen, die Stärken von Kindern und Jugendlichen in Beteiligungsprozessen zu fördern?

Indem Prozessbegleiter(innen) Veränderungsprozesse mit Kindern und Jugendlichen so moderieren, dass sie selbst der Logik des Gelingens folgen, werden sie diese fragen:

(1) Welche Vorstellungen habt ihr davon, dass die Dinge für euch so gut geworden sind wie nur denkbar? Was davon funktioniert schon gut? Was tragt ihr selbst dazu bei? Wie macht ihr das? Wie habt ihr das gemacht, dass ihr so gut geworden seid? Was müsste passieren, damit „die Dinge“ so werden, wie ihr euch das vorstellt? Was könnt ihr selbst dazu beitragen?

Dadurch lenken sie die Aufmerksamkeit auf die Stärken, welche die Kinder und Jugendlichen in den Beteiligungsprozessen zeigen und wie sie diese erworben haben.

Wie kann Ihrer Meinung nach eine lösungs- und entwicklungsorientierte Begleitung und Moderation aussehen, die möglichst viele Kinder und Jugendliche in Beteiligungsprozessen erreicht?

Ich kann mir vorstellen, dass bereits die Sozialpädagog(innen) in Kindertagesstätten im Sinne der Logik des Gelingens mit den Kindern kommunizieren. Sie fragen dann beispielsweise: Wie würde das aussehen, wenn „die Dinge“ so gut geworden sind für dich (für euch), wie du dir (ihr euch) das nur wünschen kannst (könnt)? Wenn du (ihr) an die jüngste Vergangenheit denkst (denkt), was funktioniert schon gut? Was trägst du dazu, was trägt jeder von euch dazu bei? Wie hast du (wie habt ihr) das gemacht, dass du (ihr) so gut geworden bist (seid)?

Die Lehrer(innen) könnten in der Schule mit einem solchen Kommunikationsstil weiter machen.

Auf diese Weise erfahren Kinder und Jugendliche, dass sie Einfluss nehmen können auf eine wünschenswerte Entwicklung „der Dinge“ sowie ihrer selbst. So können sie erkennen, wie sie zu Akteuren ihrer Entwicklung werden.

Nennen Sie drei gute Gründe, warum es ein Gewinn für die Kommune ist, wenn Sie die Stärken von Kindern und Jugendlichen in Planungsprozessen fördert.

Wenn Kinder und Jugendliche in der Kindertagesstätte und in der Schule beginnen, im Sinne der Logik des Gelingens zu denken und zu handeln, erwerben sie die Stärken, aktiv an Planungsprozessen auch in der Kommune mitzuwirken. Die Kommune kann sich dann darauf verlassen, in ihren Reihen so gebildete Bürger zu haben, die in Planungsprozessen effizient und nachhaltig mitwirken.

Walter Spiess, PhD, studierter Psychologe und Pädagoge ehemals Professor an der Universität Flensburg, liegt das lösungsorientierte Arbeiten mit so genannten schwierigen Jugendlichen am Herzen.

Die Meinung zählt (nicht?!)

von Kerry Mahmud (15 Jahre)

Kerry Mahmud

In Konstanz, einer 80.000 Einwohner-Stadt am Bodensee, gibt es seit den 60er Jahren das „Konstanzer Schülerparlament“ (KSP), eine überparteiliche Interessenvertretung von Jugendlichen für Jugendliche. Ursprünglich nur als Dachorganisation aller Konstanzer Schülermitverwaltungen (SMVen) geplant, begann Sie, auch die Meinung der Schüler zu vertreten, Partys zu veranstalten und Verantwortung zu übernehmen. Heutzutage genießt das KSP einen guten Ruf weit über den Stadtgrenzen hinaus. Dabei nimmt Sie nicht nur eine Beraterfunktion für die Stadt Konstanz ein, sondern auch eine Beraterfunktion für den Landesschülerbeirat, der dem Kultusministerium BW angehört. Doch wieso ist Jugendpartizipation wichtig? Aus der Sicht eines 15-Jährigen geschildert.

Jugendliche wollen nicht nur etwas über die Politik hören, sondern sie wollen auch aktiv daran teilnehmen, ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Die Behauptung, dass Politik für Jugendliche langweilig ist, gilt heutzutage schon als veraltet und falsch. Jugendliche sind auf keinen Fall politikverdrossen, sondern das genaue Gegenteil: Sie warten nur darauf, loszulegen. Sie wollen ideologiefrei vertreten werden, d.h. sie treten öfters überparteilichen Zusammenschlüssen und Interessenvertretungen wie dem KSP bei und tun dort ihre Meinung kund.

Wieso treten Jugendliche nicht jugendpolitischen Organisationen wie den Jusos oder der JU bei?

Ein Grund dafür ist, dass die meisten Jugendlichen denken, dass Überparteilichkeit nicht geht und man irgendwie auf irgendeine Weise Farbe bekennen muss. Falsch gelegen! Man kann sehr wohl politisch engagiert sein und trotzdem keine Farbe bekennen. Keine Partei oder Jugendorganisation kann sich vollständig mit den Interessen von Jugendlichen identifizieren und anders herum ist es genauso.

Ein weiterer Grund ist das fehlende Vertrauen in die Politik. Junge Menschen und mittlerweile Erwachsene denken sich auch, dass ihre Stimme und ihre Meinung überhaupt nichts zählt und selten ihre Forderungen durchgesetzt werden. Dies hat das Vertrauen in Parteien und allgemein in die Politik zutiefst erschüttert.

Wie kann man Jugendliche für Politik und Jugendbeteiligung begeistern?

Aufzwingen kann man dies Jugendlichen nicht, sondern es hängt von jedem ab, inwiefern er sich beteiligen bzw. einbringen möchte. Es gibt manche, die es lieben, sich einzubringen, ihre Ideen kund zu tun, jedoch gibt es unglücklicherweise auch diejenigen, die schon vorweg negativ eingestellt sind und bei denen eine „Null-Bock-Stimmung“ herrscht. Obligatorisch ist auch eine Plattform, auf der sich Jugendliche mit gleich gesinnten austauschen können und sich somit auch neue Kontakte knüpfen können. Als Beispiel könnte man das Jugendhaus in Biberach nehmen. Die gesamte Planung lief über Facebook ab und dies war ein voller Erfolg.

Blick auf die Zukunft

Abschließend möchte ich für mich sprechen. Wir haben schon viel erreicht in Sachen Jugendbeteiligung und haben, im Gegensatz zu früher, eine Einbindung der Jugendlichen ermöglicht. Jedoch ist dies nicht genug und muss weiterhin gestärkt werden. Die Meinung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist von unschätzbarer Bedeutung und ist auch besonders wichtig. Wie heißt es so schön: „Die Jugend ist die Zukunft von morgen“. Diesen Satz sollten wir uns alle zu Herzen nehmen.

Kerry Mahmud ist 15 Jahre alt und beteiligt sich politisch in seiner Heimatstadt Konstanz. In seinem Beitrag auf dem Partizipationsblog schildert er seine Erfahrungen und Perspektiven auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.      

Oberbürgermeister Hager: „Die Jugendlichen sollen uns sagen, welche Themen für sie von Bedeutung sind“

Foto Herr Hager

Herr Hager, Sie sind Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim. Ihnen ist es ein wichtiges Anliegen, dass Jugendliche Politik für Pforzheim mitgestalten können. Welchen Weg sind Sie diesbezüglich gegangen?

Wir haben schon in den vergangenen Jahren intensiv den Kontakt mit den Jugendlichen gesucht. Im Rahmen unseres Masterplanprozesses waren meine Mitarbeiter in allen gymnasialen Oberstufen und an zahlreichen Haupt-, Real- und Berufsschulen, um Jugendliche für diesen Prozess zu interessieren. Aus diesem Prozess heraus fand die Idee, einen Jugendgemeinderat einzurichten, erhebliche Unterstützung. Seitdem sind wir eng mit den Jugendlichen in Kontakt und haben gemeinsam die Konzeption für den Jugendgemeinderat entwickelt.

Der Gemeinderat hat nun den Jugendgemeinderat beschlossen. Welche Wirkung wird der Jugendgemeinderat auf die Arbeit des „Erwachsenengemeinderates“ haben?

Die Jugendlichen sollen uns sagen, welche Themen für sie von besonderer Bedeutung sind. Wir möchten auch wissen, wie sie Vorgänge beurteilen. Der Rat und die Sichtweisen der Jugendlichen werden für viele Entscheidungen maßgeblich sein. Denn im Gemeinderat treffen wir eine Vielzahl von Entscheidungen, die gerade die Jugendlichen in die kommenden Jahre hinein betreffen. Da drängt es sich geradezu auf, die Jugendlichen zu beteiligen.

Welches sind die nächsten Schritte zur Umsetzung des jugendlichen Rats?

Die Konzeption des Jugendgemeinderats wurde am 23.07.2013 im Gemeinderat beschlossen. Jetzt geht es konkret um die Wahlordnung. Diese möchten wir am 12.10.2013 im Gemeinderat zur Beschlussfassung stellen. Danach wird schnellstmöglich gewählt.

Wie wird es gelingen, die jugendliche Vielfalt in ihrer Stadt mit einzubeziehen?

Wir möchten diese Vielfalt so gut es geht auch im Jugendgemeinderat vertreten haben. Dabei brauchen wir die Unterstützung von Multiplikatoren, die die Jugendlichen zur Teilnahme an der Wahl motivieren. Wir werden also im Vorfeld z.B. an Schulen informieren oder auch die Nachwuchsorganisationen der Parteien um Unterstützung bitten. Außerdem gibt es Institutionen wie den Stadtjugendring, die uns helfen können. Selbstverständlich gilt es auch Jugendliche mit Migrationshintergrund für den Jugendgemeinderat zu interessieren. Das muss unser Ziel sein.

Zum zweiten Mal fand der jugendpolitische Tag mit den Jugendorganisationen der Parteien statt? Warum ist ihnen dieser Tag wichtig?

Die Jugendlichen von heute werden in den kommenden Jahren die Leistungsträger unserer Gesellschaft sein. Wir müssen Ihnen dazu die Rahmenbedingungen schaffen. Wir gestalten die Zukunft der Stadt zu einem großen Teil für die Jugendlichen und da ist es wichtig, dass wir wissen, was die Jugendlichen erwarten. Daher ist mir ein reger Austausch wichtig, wir müssen miteinander ins Gespräch kommen. Die Jugendorganisationen der Parteien sind dafür ideale Partner.

Die Türen des Pforzheimer Ratssaal sind offen für die junge Generationen der Stadt. Nennen Sie drei gute Gründe, welchen Gewinn eine Kommune hat, wenn Sie den Ratssaal für die junge Generation öffnen?

– Die Jugendlichen engagieren sich für ihre Stadt.
– Die Jugendlichen identifizieren sich mit ihrer Stadt.
– Die Jugendlichen binden sich an ihre Stadt.

Das Interview führte Udo Wenzl.

Ein neues Jugendhaus

Facebook in Beteiligungsprozessen – wie ein neues Jugendhaus online geplant wurde

– von Kristin Narr –

In Biberach, einer Kreisstadt in Oberschwaben mit rund 32.000 Einwohner, fand dieses Jahr etwas Außergewöhnliches statt: Jugendliche planten gemeinsam mit der Stadt das neue Jugendhaus. Ihre Wünsche und Entscheidungen, wie das Jugendhaus aussehen soll, diskutierten die Jugendlichen in einer Facebook-Gruppe.

Beteiligungsprojekte wollen sich oftmals an den erreichten Zielen und der Wirksamkeit ihrer Arbeit messen. Diese Wirksamkeit stellt gleichzeitig eine große Herausforderung für diese Projekte dar. Eine Herausforderung stellt die Frage dar, wie die Wirksamkeit gemessen wird, wo sie anfängt und aufhört. Aber es existieren Projekte, die diese offensichtliche Wirksamkeit am Ende des Projektzeitraums haben und ihre gesetzten Ziele sichtbar gemacht werden können. Das Jugendbeteiligungsprojekt in Biberach ist eines dieser Projekte. Jugendliche brachten sich in einem mehrmonatigen Prozess mit Hilfe einer Facebook-Gruppe in die Planung ihres neuen Jugendhauses ein, das anschließend von der Stadt umgesetzt wird.

Erik Flügge (Squirrel & Nuts) hat diesen Prozess gemeinsam mit seinen Kollegen begleitet und moderiert. Im Interview erinnert er sich an den Anfang: „In Biberach war es recht ungewöhnlich. Das Hochbauamt bzw. der Baubürgermeister hatte von unseren Projekten gehört und uns direkt angefragt. Sie wollten möglichst viele Jugendliche unterschiedlichster Bildungshintergründe einbeziehen und etwas mit Social Media machen. Am Ende sollte ein baurechtlich tragfähiges Verfahren herauskommen.“

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Erik Flügge, Geschäftsführer bei Squirrel & Nuts (Foto by Squirrel & Nuts) 

Im Mittelpunkt des Projekts stand die gemeinsame Planung des neuen Jugendhauses in Biberach. Dafür wurden insgesamt vier Architekturbüros beauftragt, in den direkten Wettbewerb gegeneinander anzutreten und zunächst verschiedene Entwürfe zu erstellen. Anschließend wurden die Pläne von den Jugendlichen bewertet und weiterentwickelt. Eigene Wünsche konnten geäußert und so die Planung aktiv mitgestaltet werden. Am Ende soll ein Architekturbüro den eigentlichen Auftrag bekommen.

Der eigentliche Dialogprozess mit den Jugendlichen erstreckte sich vom 12. März bis 8. Juli 2013 und war umrahmt von zwei Offline-Veranstaltungen, zum Auftakt des Projekts und um am Abschluss ein Endergebnis zu präsentieren. Im Sommer sollen die Ergebnisse aus einem Votum der Jugendlichen ausgewertet und nochmals auf fachliche Ansprüche an das Jugendhaus geprüft werden.

Kein Modellprojekt, aber ein Projekt von dem man viel lernen kann

Das Projekt in Biberach zeichnet durch seine interessante Konzeption und günstigen Voraussetzungen aus. Sowohl das Hochbauamt, das Kulturamt als auch die örtliche Jugendarbeit trugen den Prozess gemeinsam und waren sich vorab einig, dass sie alle an einem Strang ziehen. „Und genau das“, so Flügge, „war der ausschlagende Punkt, dass das Projekt ein Erfolg für die ganze Stadt wurde.“ Vor dem Start des Projekts wurden vorbereitende Klärungen, wie Zeittaktungen, Abläufe, Verbindlichkeiten und Beschlüsse vom Gemeinderat verabredet und Vereinbarungen über den Grad der Beteiligung der einzelnen Akteure getroffen. So wurde auch vorab geregelt, dass die Online-Moderation mit den Jugendlichen nur von Flügge und seine Kollegen übernommen wird und weder die Stadt noch die Architekten dort aktiv sind und Einfluss nehmen.

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Auftaktworkshop mit Jugendlichen in Biberach (Foto by Squirrel & Nuts)

Neben dem online-basierten Prozess wurde ein Baukolloquium, eine Art Bauaufsicht, bestehend aus Architekturprofessoren und Vertretern des Hochbauamtes, ins Leben gerufen. Die Aufgabe des Baukolloquiums bestand in der Prüfung, ob der Auftrag erfüllt worden ist, sprich ob das Gebäude von der architektonischen Seite her stimmig ist und ob es finanzierbar wäre.  „Gerade mit den Architekturprofessoren von der Hochschule in Biberach ist der Dialog besonders spannend. Als Architekten entwerfen sie üblicherweise ein Bild oder ein Szenario, von dem sie annehmen, das es der spätere Nutzer auch so haben möchte“, so Flügge, „In Biberach hatten wir einen anderen Prozess. Sie bekamen schon während der Planung vom Nutzer selbst ein direktes Feedback darüber, was er versteht und was er nicht versteht.“

Online-basierte Verfahren – Facebook für Beteiligung nutzbar machen

Losgelöst vom konkreten Projekt in Biberach und expliziter Ziele, hat Erik Flügge schon an vielen Stellen zuvor, das Bedürfnis gehabt, eine Nachhaltigkeit in den Dialog zu bringen. Social Media bieten dafür zunächst die besten Voraussetzungen, indem die Jugendlichen dort weiterreden können. Das Problem besteht, so Flügge, oftmals in der konkreten Ausgestaltung des Prozesses. Flügge ist der Meinung, „dass die Pädagogen vor Ort, die gute Arbeit mit Jugendlichen machen, sich schwertun, diese Arbeit online fortzusetzen. Ich glaube, es liegt daran, dass es in Schriftform ist. Die Schriftform löst bei Leuten, die ein professionelles Arbeitsumfeld haben, das Gefühl aus, dass sie richtige Dinge schreiben müssen. Oft schreiben sie so, dass man ihnen nachher keinen Strick daraus drehen kann. Sie verlieren ihre Lockerheit und reden in Social Media nicht so wie mit ihren Jugendlichen im Jugendhaus. Viele Jugendarbeiter sind mit der Idee groß geworden, dass persönlicher Kontakt tatsächlich persönliche Begegnung braucht“.

Der Schlüssel liegt sicherlich darin, dass Jugendarbeiter insgesamt mutiger sein müssten, indem sie auch Internet authentisch sind und online genauso kommunizieren wie sie es offline tun. Jugendliche machen dabei oft keine Trennung zwischen Online- und Offline-Welt. Die Herausforderung besteht daher seitens des Jugendarbeiters zu merken, „an welchen Stellen sie intervenieren und Dinge noch einmal erklären bzw. einen pädagogischen Auftrag wahrnehmen und an welchen Stellen sie zulassen, dass Jugendliche Jugendliche sind und dass sie ihre eigene Sprache benutzen, so unüberlegt wie sie auch manchmal sein mag“, meint Flügge.

Die Kommunikation der Jugendlichen in Biberach wurde über eine geschlossene Facebook-Gruppe organisiert, in der sie unter sich sind und bis auf die Moderatoren keine Erwachsenen teilnehmen durften. In dieser Gruppe konnten sie kommentieren, kritisieren und neue Vorschläge machen. Diese Rückmeldungen wurden an die Architekturbüros weitergeleitet. Auf dieser Grundlage wurden neue Vorschläge gemacht.

Squirrel & Nuts organisierte den Prozess mit jungen Moderatoren, die wenig älter als die Jugendlichen waren, die für das Projekt gewonnen werden sollten. Das Team agiert viel näher an der Lebenswelt der Jugendlichen, versteht deren Kommunikationsverhalten. Gleichzeitig sind sie allerdings selbst im Dialog mit Kommunen und offiziellen Verwaltungen erfahren. Die Moderatoren wurden zusätzlich von Leuten unterstützt, die einen pädagogischen Hintergrund haben und in schwierigen Fällen, wie Cybermobbing, professionelle Hilfe geben konnten. Mit Hilfe der Moderatoren wurde der Prozess aufrechterhalten und sichergestellt, dass der Dialog mit immer wiederkehrenden Beteiligungsmöglichkeiten und neuen Diskussionen aktiv bleibt.

Die Facebook-Gruppe zählte weit über 800 Mitglieder. Über die Hälfte der Jugendlichen war im Zuge des Projekts mindestens einmal aktiv, sei es in einer Abstimmung, durch ein „Liken“ oder Kommentieren. Flügge konnte zudem beobachten, dass sie in die Kommunikation ein- und wieder aussteigen: „Ich finde es besonders interessant, dass sie sehr oft aussteigen, wenn sie was erreicht haben. Das Erreichen einer Sache sorgt nicht dafür, dass sie sich weiter aktivieren lassen, sondern, dass sie ihr Anliegen jetzt kommunizieren konnten und dann anderen den Raum überlassen.“ Darüber hinaus erwies sich der Auftakt in Form einer Offline-Veranstaltung als günstige Voraussetzung, dass sich viele und unterschiedliche Jugendliche am Online-Prozess beteiligten. Der Kontakt wurde hergestellt und zum einen in der Facebook-Gruppe durch die offensichtliche Wirksamkeit intensiviert, zum anderen durch persönliche Empfehlungen innerhalb der Jugendlichen in Biberach weitergetragen.

Ein online-basierter Beteiligungsprozess, der auch politisch ist

Das Projekt in Biberach zeigt, wie wichtig Beteiligungsprozesse für die Kommunalpolitik sind. Das Interesse junger Menschen für Politik wird geweckt, weil sie erkennen, dass es auch für die interessant und relevant sein kann. Jugendliche kennen ihre eigenen Themen am besten, oftmals bekommen sie allerdings keine Zugänge oder kennen die Strukturen von Politik nicht, so Flügge. Seitens der Jugendlichen ist das grundsätzliche Interesse und die Bereitschaft, wirksam zu werden vorhanden. Sie brauchen die geeignete Schnittstellen und die Bereitschaft der Politik, sich darauf einzulassen.

Die Diskussion um die „Schnitzelgrube“ zeigt das recht deutlich. Im Zuge der Online-Diskussion kam der Wunsch auf, im künftigen Jugendhaus ein Loch, das mit Schaumstoffstücke gefüllt ist und in das man hineinspringen kann, einzubauen. „Erstmal war klar, dass das aufgrund der geplanten Mehrfachnutzungen des Hauses, u.a. für Mutter-Kind-Gruppe, nicht zu realisieren ist. Wir haben dann ein Treffen zwischen dem Baubürgermeister und einem Jugendlichen organisiert, damit der Baubürgermeister dem Jugendlichen erklärt, dass das nicht möglich ist, diese Schnitzelgrube einzubauen. Das Interessante ist, dass der Jugendliche in diesem Gespräch den Bürgermeister überzeugt hat, denn er argumentierte, dass man auch eine Abdeckung über das Loch machen kann und es zusätzlich auch spannend für motorische Übung mit kleineren Kindern sein kann.“ Am Ende der Gespräche stand fest, dass die Schnitzelgrube in den Planungen weiterhin berücksichtigt wird.

„Insgesamt“, so Flügge, „macht das Projekt ganz viel mit der Stadt, dem Oberbürgermeister und dem Baubürgermeister, denn sie haben durch die neuen Dialogformen ein noch viel stärkeres Interesse für Bürgerbeteiligung gewonnen. Offensichtlich motiviert es Politik, wenn es Beteiligungsprozesse gibt, in denen nicht nur die üblichen Verdächtigen mitmachen, sondern die sich weit darüber hinaus ausdehnen.“

Am Ende steht ein Projekt, an dem Jugendliche maßgeblich beteiligt waren. Sie sind diejenigen, die ihre Empfehlungen an den Gemeinderat abgeben. Das Abschlussvotum liegt bei den verantwortlichen Entscheidern, setzt sich allerdings maßgeblich aus den Diskussionen, die die Jugendlichen geführt haben, zusammen, da es „keinen Vorschlag mehr gibt, der nicht von Jugendlichen mitgestaltet wurde.“

Dieser Bericht ist für das Projekt youthpart angefertigt worden und wurde zuerst im Rahmen des Dialog Internet veröffentlicht. Dieses Werk bzw. dieser Inhalt von Kristin Narr (ikosom) steht unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz. http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/

Kristin Narr arbeitet bei ikosom, dem Institut für Kommunikation in sozialen Medien. Dort beschäftigt sie sich mit den Themenfeldern Medienkompetenz, ePartizipation, Open Education und digitaler Kollaboration. Sie konzipiert und leitet medienpädagogische Workshops und Projekte mit Heranwachsenden, Lehrkräften sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Für Dialog Internet schreibt Kristin Narr Beiträge im Auftrag des IJAB e.V.

In Zukunft mit UNS

Die Beteiligung von Jugendlichen an Aktivitäten und Entscheidungsprozessen im kommunalen Raum bestärkt deren politisches Interesse und nutzt und fördert die Stärken jedes Einzelnen sowie die Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammen zu arbeiten und sich aufeinander einzulassen.

Udo Wenzl 

Von Udo Wenzl

Eine Kommune lädt an einem Wochentag – einem ganz normalen Schultag – die Jugendlichen zu einem eintägigen Jugendforum ein. Der Tag startet frühmorgens, und die teilnehmenden Jugendlichen werden vom Unterricht befreit. Auf den Plakaten zum Forum steht: „In Zukunft mit UNS“. Es geht darum, die Perspektive der Jugendlichen in die Entwicklung der Stadt miteinzubeziehen. „Wie lebe ich in meiner Stadt, was möchte ich schon immer mal der Politik sagen, und wo sehe ich Handlungsbedarf“ – diese Leitfragen beschäftigen die Jugendlichen am Vormittag in einem World-Café und in thematischen Vertiefungs-Workshops. „Was ist zu tun, wie soll es aussehen, und wen brauchen wir noch dazu?“ – mit diesen Fragen werden auf einem Flip-Chart einzelne Themen konkretisiert. Am Ende der Workshop-Phase gibt es eine Präsentation der Workshop-Ergebnisse vor dem/der Bürgermeister/in, den GemeinderätInnen, weiteren interessierten erwachsenen Personen der Gemeinde und insbesondere vor den SchulvertreterInnen, die auch sehen wollen und sollen, was „ihre“ Jugendlichen erarbeitet haben.

Einladen, ermutigen und inspirieren

Jugendliche werden eingeladen und können mitreden, mitentwickeln und mitgestalten. An einer wirklichen Mitbestimmung und einer wirklichen Mitentscheidung der jungen Generation wird derzeit intensiv gearbeitet. Jugendliche werden ermutigt, ihre Sicht auf die Gemeinde/ auf die Stadt zu formulieren und werden inspiriert, Ideen einzubringen. Wenn die Jugendlichen ihre Ergebnisse vorstellen, zeigen sie den Erwachsenen, was ihre Ideen und Anliegen sind, und tragen somit zur Gemeindeentwicklung bei. Dies ist nicht in allen Kommunen selbstverständlich. Aber es geschieht zunehmend in immer mehr in baden-württembergischen Kommunen, dass sich Jugendliche nicht nur in Jugendgemeinderäten an der kommunalen Entwicklung beteiligen können, sondern auch innerhalb vielfältiger offener Beteiligungsformen.

„Wenn Kinder und Jugendliche wieder erleben können, dass sie nicht ständig wie Objekte belehrt, gemaßregelt, beschult und erzogen werden, sondern dass sie in ihrer Kommune von anderen Mitgliedern beachtet und wertgeschätzt werden, wenn ihnen zugetraut würde, Aufgaben zu übernehmen, die für die Kommune und das kommunale Leben wichtig sind, dann könnte sich jedes Kind und jeder Jugendliche als jemand erfahren, der mit seinen besonderen Talenten, mit seinen erworbenen Fähigkeiten und seinem bisher angeeigneten Wissen in dieser besonderen Weise zum Gelingen von etwas beitragen, was nur in einer gemeinsamen Anstrengung gelingen kann.“ (Gerald Hüther, Kommunale Intelligenz, Seite 41, 2013)

Die Jugendlichen entwickeln unterschiedliche Ideen und Lösungen zu bestimmten Themen und finden so heraus, wo und wie sie sich weiter engagieren wollen. Die Vorstellung der Workshop-Ergebnisse zeigt den Erwachsenen, welche Vorstellungen die Jugendlichen von der Zukunft der Kommune haben. Die Erwachsenen honorieren mit Wertschätzung die Arbeit der Jugendlichen und greifen deren Anliegen auf. Nach dem Forum bilden sich dann meist generationsübergreifende Arbeitsgruppen, die aus Themen ganz konkrete Projekte machen. Jugendliche und Erwachsene, meist die politisch Verantwortlichen und MitarbeiterInnen der Verwaltungen, arbeiten ganz konkret zusammen.

Wenn viele (junge) Menschen in einem Raum zusammen arbeiten, dann ist dies auch politische Bildung und Dialog mit den politischen Verantwortlichen. Dies bestärkt das politische Interesse der Jugendlichen, nutzt und fördert die Stärken jedes Einzelnen sowie die Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammen zu arbeiten und sich aufeinander einzulassen.

 

Prof. Paul-Stefan Roß: Eine weitere Entwicklungsstufe von Demokratie

„Bürgerbeteiligung“ ist derzeit in aller Munde – nicht nur in Baden-Württemberg. Die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 und der Regierungswechsel 2011 haben dem Thema Konjunktur verschafft. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Hintergrund dieser Debatte liefert Paul-Stefan Roß mit seinem Buch „Demokratie weiter denken“.Paul Stefan Ross NAH

Dr. Paul-Stefan Ross, Sie sind Professor an der Dualen Hochschule für Soziale Arbeit in Stuttgart  und  haben ihr letzte Veröffentlichung „Demokratie weiter denken“ genannt. In welche Richtung sollte sich Ihrer Meinung nach Demokratie weiter denken und entwickeln? Was steckt alles hinter dem Titel Ihres Buches?

Wenn in den vergangenen Jahren in Deutschland von „Demokratie“ gesprochen wurde, dann dachten die meisten dabei an regelmäßige Wahlen, für die Parteien KandidatInnen aufstellen, die dann als RepräsentantInnen des Volkes in ein (Kommunal-, Landes-, Bundes- oder Europa-) Parlament gewählt werden und dort in Abstimmungen Mehrheitsentscheidungen treffen. Dieser „repräsentative, parteiendominierte Parlamentarismus“ (so ein Fachausdruck aus der Politikwissenschaft) hat die westlichen Staaten über Jahrzehnte geprägt. Jedoch kommt das Modell sichtbar an Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und seiner Überzeugungskraft: Immer weniger Menschen gehen zu Wahlen, immer mehr fühlen sich durch die gewählten RepräsentantInnen nicht mehr repräsentiert, viele sprechen genervt von „Parteienklüngel“ und wenden sich ab.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang genau „weiterentwickeln“?

Es deutet vieles darauf hin, dass die geschichtliche Entwicklung der Demokratie mit dem Modell der repräsentativen Parteiendemokratie keineswegs am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen ist. Die Gründung einer Initiative für die Gestaltung eines Spielplatzes, die Entwicklung kommunaler Standards für Bürgerbeteiligung, die Entwicklung eines Modells der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in einer Kommune und die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 (um nur einige Beispiele zu nennen) haben etwas gemeinsam: Sie lassen sich interpretieren als das Ringen um eine weitere Entwicklungsstufe von Demokratie.

Wie wird oder soll Demokratie sich weiterentwickeln?

Die Bedeutung direkter Demokratie wird zunehmen; also die Bedeutung von Abstimmungen, in denen die BürgerInnen selbst direkt – und nicht auf dem Umweg über gewählte RepräsentantInnen – über bestimmte Sachfragen entscheiden. Der große Vorteil: Hier liegt die Entscheidungsmacht tatsächlich bei den BürgerInnen selbst. Sie können ein Gegengewicht bilden gegenüber den gewählten MandatsträgerInnen und verhindern, dass diese sich zu weit vom „Volk“ entfernen. Allerdings, und dies sind Nachteile, müssen bei Bürgerentscheiden die Fragestellungen oft sehr stark zugespitzt werden („Ja/Nein“), und nicht selten kommt es zu einer Polarisierung innerhalb der Bürgerschaft. Daher ist ein höherer Stellenwert direkt-demokratischer Verfahren nicht die einzige sinnvolle Weiterentwicklung von Demokratie: Zugleich wird die Bedeutung „kooperativer Demokratie“ zunehmen.

Was bedeutet kooperative Demokratie?

Gemeint sind Formen der Meinungs- und Willensbildung, die darauf setzen, das verschiedene Beteiligte in einem direkten Dialog auf Augenhöhe gemeinsam Lösungen für bestimmte Fragestellungen entwickeln. Dahinter steht die Überzeugung, dass tragfähige Lösungen ehr gefunden werden, wenn ein Konsens bzw. ein Kompromiss erzielt wird, als wenn sich eine Position durch Mehrheitsabstimmung gegenüber einer anderen durchsetzt. Solche kooperativ-demokratischen Beteiligungsverfahren gibt es in einer großen Vielzahl: Runde Tische, Zukunftswerkstätten, Planing for Real, Open-Space-Konferenzen, Planungszellen, Bürger-Räte usw. sind nur einige Beispiele. Jedes dieser Methodenkonzepte hat bestimmte Stärken, aber auch charakteristische Schwächen. Insgesamt liegen die Nachteile kooperativ-demokratischer Verfahren darin, dass an ihnen nur ein kleiner Ausschnitt der Bürgerschaft teilnimmt, und zwar in der Regel Menschen, die gesellschaftlich gut integriert sind.

Wie wird die Demokratie der Zukunft aussehen?

Demokratie wird also bunter und vielfältiger werden, wird noch andere, stärker verhandlungsorientiert ausgerichtete Formen kennen, als allein Wahlen und Abstimmungen. Einen Fortschritt kann man sich von dieser Erweiterung dann versprechen, wenn die gerade angesprochenen verschiedenen Formen demokratischer Teilhabe nicht gegeneinander ausgespielt, sondern mit einander verknüpft werden. So bleibt es z.B. der entscheidende Vorzug repräsentativ-demokratischer Verfahren, dass sie grundsätzlich allen Stimmberechtigten offen stehen und so die Breite der unterschiedlichen Meinungen in einer Gesellschaft abbilden können. Die Aufgabe auf der „Baustelle Demokratie“ lautet, repräsentativ-, direkt- und kooperativ-demokratische Verfahren so zu kombinieren, dass die die jeweiligen Schwächen wechselseitig ausgeglichen werden und die Stärken optimal zum Tragen kommen. Es bleibt also spannend!

Das Interview führte Udo Wenzl

Mehr dazu ist im Buch von Paul-Stefan roß zu finden, veröffentlicht im NOMOS – Verlag, 2012, 632 S., Broschiert, ISBN 978-3-8329-6470-2, 49.– €

Wider die Pseudobeteiligung

Die Chance zur Beteiligung bedeutet nicht zwangsläufig, dass Jugendliche sich auch in Scharen beteiligen. Jugendbeteiligung ist alles andere als ein Selbstläufer. Das liegt nicht an fehlendem Interesse von Jugendlichen, sondern an einer kulturellen Entfremdung der Politik von der Gesellschaft. 

Erik Flügge

Erik Flügge

Jugendlichen die Chance zum Mitmachen einzuräumen ist das Anliegen vieler politischer Akteure. Ein redliches Bemühen, das oft nicht von Erfolg gekrönt ist. Da werden Flyer gedruckt und verteilt, Jugendforen organisiert oder Jugendgemeinderatswahlen ausgeschrieben und keiner kommt, keiner nimmt teil, niemand kandidiert. Ein Ausweis dafür, dass die Formen der Beteiligung dringend ein Update brauchen.

Jugendliche sind nicht desinteressiert an der Gestaltung ihres Lebensumfeldes. Sie haben nur gelernt, dass sie oft beteiligt werden und am Ende selten etwas passiert. Viel zu häufig werden sie zu pseudodemokratischen Mitmachveranstaltungen eingeladen. Viel zu häufig sind Jugendliche nur Dekoration, denn anerkannte Gesprächspartner. Oder wie anders könnte man die meisten Schülervertretungen beschreiben? Wahlen von Klassensprechern, die nichts entscheiden können, zu Schülerversammlungen, die wenig Einfluss auf das Schulgeschehen haben. Wie anders ließen sich Dialoge mit Landtags- oder Bundestagskandidaten beschreiben, bei denen „viel mitgenommen wird“ und „viel wichtiges gesagt wurde“, aber kein substantieller Beitrag entsteht.

Von Jugendlichen wird zu viel erwartet. Sie sollen benennen, wie sie gern beteiligt werden wollen. Sie sollen in halbtägigen Veranstaltungen Probleme lösen, für die andere nur Jahre brauchen und diese dann Verantwortlichen präsentieren. Diese loben zwar das Engagement, wissen aber auch, dass all dies so einfach nicht zu lösen ist. Warum laden wir dann Jugendliche ein, nur einen Tag zu diskutieren und zu überlegen?

Wenn Jugendliche ernsthaft an Politik partizipieren sollen, dann brauchen sie mehr als einzelne Veranstaltungen und Foren. Sie brauchen kontinuierliche Begleitung. Denn genauso unverständlich wie die Jugendsprache für Erwachsene, ist Verwaltungssprache für Jugendliche. Politik ist an sich fremd, unnahbar und in ihren Formalismen wenig reizvoll. Denn Formalismen und Verwaltungssprache stellen Hierarchien her. Die Sätze „das ist so nicht finanzierbar“ oder „eine schöne Idee, aber das ist aufgrund der Kommunalverfassung so nicht möglich“ entwerten einen schlauen Gedanken. Es sind Totschlagargumente, denen Jugendliche nichts entgegen setzen können.

Dabei geht es auch ganz anders. Beispielsweise in Offenbach an der Queich. Dort wünschten Jugendliche ein Kino. Selbstverständlich war dieses nicht bezahlbar, aber nun wird es eines geben. Denn nicht das schnelle Nein, sondern die Suche nach intelligenten Lösungen brachte die Stadt weiter. Filme können nun legal öffentlich durch die Kommune gezeigt werden. Nötig war nicht mehr, als eine ausführliche Recherche zu Film- und Vorführungsrechten. Damit gewinnt die Stadt an Lebensqualität hinzu.

Es bleibt ein frommer Wunsch, dass die Möglichkeit, dass Jugendliche Ernsthaftes zum Gemeinwesen beizutragen haben, in der Breite ernst genommen wird. Nicht weil Mandats- und Entscheidungsträger nicht den Wunsch hätten zu beteiligen, sondern weil sie nicht verstehen können, dass es Menschen gibt, die das, was sie den ganzen Tag selbst tun, für unglaublich ineffizient, unsinnig und unattraktiv halten.

Jugendliche wollen gestalten und sie können es auch. Sie können detailliert Probleme erarbeiten und Lösungen finden. Sie brauchen dafür genauso lange Zeit, wie die Erwachsenenwelt auch. Sie brauchen aber nicht nur Zeit, sondern auch die Ressourcen dies auf jugendgerechtem Wege zu tun.