Archiv des Autors: Erik Flügge

Plädoyer gegen den runden Tisch

Runde Tische sind ein beliebtes Mittel, wenn Politik sich nicht traut, im Allgemeininteresse zu entscheiden. Leider sind die Ergebnisse von runden Tischen in Fragen der allgemeinen Stadtgestaltung meist eine Ansammlung von kleinsten Partikularinteressen, die viel zu oft Verhinderung statt Ermöglichung zum Ziel haben. 

von Erik Flügge

Wenn ein Platz, eine Treppe, eine Promenade, ein Club, ein Kulturzentrum, ein Biergarten, Kindergarten oder irgendeine andere Einrichtung beliebt ist, dann hat diese auch Gegner. Orte, die gerne aufgesucht werden, finden in den Anwohnern oft Feinde. Lärm und Schmutz sind die Begleiterscheinungen gerne besuchter Orte und natürlich stellen diese Begleiterscheinungen echte Belastungen der Anwohnerinnen und Anwohner dar. Die Konsequenz sind Eingaben, Petitionen und Klagen.

Die unmittelbar negativ von einem erfolgreichen Ort Betroffenen haben das gute Recht, sich gegen den Erfolg dieses Ortes zu wehren. Wenn sie vor Gericht Erfolge erzielen, weil ihre Rechte eingeschränkt werden, dann muss man sich als Politik diesem Urteil stellen und Veränderungen vornehmen. Unsinnig erscheint mir der mehr und mehr zunehmende vorauseilende Gehorsam der Politik. Warum werden bereits vor Gerichtsurteilen runde Tische eingerichtet, die zu nichts anderem führen, als dazu, dass den wenigen Gegnern ein Forum geboten wird, von dem die vielen Nutzer ausgeschlossen sind?

Es liegt in der Natur der Sache, dass Menschen, die Abends gemütlich auf einem Platz sitzen und sich unterhalten, sich nicht organisieren. Wie sollte diese Organisation von statten gehen? Wie sollten sie, die sie vielleicht einmal oder zweimal im Monat einen beliebten Ort aufsuchen und damit zu Lärmemissionen beitragen, sich angesprochen fühlen, an einem runden Tisch zu eben diesem Lärm teilzunehmen? Wer ist die legitime Vertretung von tausenden von Menschen, die einen Ort mit Aufenthaltsqualität genießen?

Am Ende sitzt man am runden Tisch mit den negativ betroffenen. Politik hört bei diesen Formaten nur Bedenken, nie etwas über die Chancen. Die Interessen der ganz wenigen werden nicht realistisch den Interessen der ganz vielen entgegen gestellt, sondern überproportional stark gegenüber diesen aufgewertet. Demokratisch sinnvoll ist das nicht.

Mein Anspruch an Kommunalpolitik ist, dass die Verantwortlichen sich selbst ein Bild von beiden Seiten machen. Sie müssen ein Verständnis dafür entwickeln, wie viele Menschen von einem schönen Ort profitieren und sich ein Bild davon machen, wie viele Menschen betroffen sind. Am Ende müssen sie eine Entscheidung für das Gemeinwohl treffen. Am runden Tisch gemeinsam mit nur den negativ Betroffenen, wird diese Gemeinwohlentscheidung sicherlich nicht entstehen.

Deliberative Foren, statt Betroffenenrunden

Der Ausweg aus dem Dilemma ist gar nicht so schwer. Ein Forum, bei dem Menschen aus einem Stadtgebiet repräsentativ und zufällig ausgewählt werden, kann solche Fragen besser diskutieren. Diese Bürger sollen dann Stimmen von bewusst angefragten Nutzern eines Platzes und von Anwohner hören. Sie sollen diskutieren, was im Interesse der Stadt und was im Interesse der Anwohner ist. Sie verschaffen damit der Kommunalpolitik zusätzliche Legitimität, wenn diese sich schon nicht alleine traut ihr Mandat wahrzunehmen.

Es gilt eben in einem solchen Forum alle unterschiedlichen Stimmen zu Wort kommen zu lassen, nicht nur ein Partikularinteresse. Mit einer offenen Einladung wird dies erfahrungsgemäß nie gelingen. Es gilt Menschen per Zufall auszuwählen und diesen hinterher zu telefonieren, damit sie auch tatsächlich an diesem Bürgerforum teilnehmen. Nur so entsteht Repräsenativität.

Es könnte aber auch eine andere Frage helfen: „Wo ist die Mehrheit?“ statt „Wo ist der lauteste Widerstand?“ – mit einer ehrlichen Beantwortung dieser Frage könnten sich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker auch einfach dafür entscheiden, nicht jeden geliebten Platz zum Problem, sondern zum Erfolg zu erklären.

Im Rausch des 8erRats

Wohl selten hat ein neues Beteiligungsmodell so viel Euphorie ausgelöst wie der 8erRat. Egal wem wir von dem Modell berichten, stets ist die Reaktion die gleiche: Überall will man den 8erRat erproben.

von Erik Flügge

Auf dem Bundesnetzwerktreffen Kinder- und Jugendbeteiligung spreche ich in diesem Jahr zum ersten Mal. Ich berichte vom 8erRat, den Udo Wenzl und ich als neues Beteiligungsmodell in der Kommune entwickelt haben. Unser Anspruch heißt, wir wollen, dass alle Jugendlichen in einer Kommune eine konkrete Beteiligungserfahrung machen und nicht nur ein paar gewählte. Wie jedes Mal, wenn wir von dem Gedanken berichten, lösen wir Begeisterung aus.

11008445_10153121676938468_1386189325306966562_nBegeisterung bei Beteiligungseuphorikern, wie sie sich beim Bundesnetzwerk Kinder- und Jugendliche treffen, auszulösen ist recht einfach. Wann immer jemand zeigt, wie vor allem Beteiligungsferne einbezogen werden können, geht uns allen, die wir Beteiligung ermöglichen wollen, das Herz auf. Leider scheitern wir mit diesem Ansatz allzu oft dann bei den Kommunalen Entscheidungsträgern. Ganz anders beim 8erRat.

Udo Wenzl ist diese Woche in Gaggenau. Eine badische Stadt, in der gerade Aufbruchsstimmung herrscht. 80 Jugendliche aus den Schülervertretungen sind gekommen, um gemeinsam mit dem erfahrenen Beteiligungsexperten über die Einführung des 8erRates in Gaggenau zu beraten. Am Ende sind sich Jugendliche, Ratsmitglieder, Oberbürgermeister, Schulen und Verwaltung einig: Wir wollen den 8erRat.

Die Stadt Gaggenau hat sich viel vorgenommen, genau wie Freiburg und immer mehr andere Städte. Sie wollen alle Achtklässler in einem strukturierten Prozess ein Jahr lang zu aktiven Beteiligten in der Kommune machen, die ganz konkret ihre Lebenswirklichkeit gestalten und für Veränderungen um politische Mehrheiten ringen. Dafür müssen sie nicht gewählt werden, sie müssen sich nur einbringen und ihre Ideen auf den Tisch legen. Unterstützt werden sie dabei von der Jugendarbeit, den Schulen und den Städten.

Udo Wenzl und ich haben uns ein Ziel gesetzt: Wir wollen, dass Jugendbeteiligung endlich allen Jugendlichen zu teil wird. Begeistert sind wir jetzt wirklich davon, dass Jugendliche, Schulen, Politik und Verwaltung diesen Wunsch gemeinsam teilen. HERZLICHEN DANK!

Wütende Bürger – Beteiligung muss anders werden

Nicht jede Bürgerbeteiligung ist eine Bereicherung für das Gemeinwesen. Oftmals werden Formate der Beteiligung gewählt, die derart unattraktiv sind, dass sich nur radikale Gegner eines Projektes zusammen finden und die eigentlich wohlgesonnene Mehrheit schweigt. Das frustriert zu Recht Verantwortliche in den Städten und Gemeinden. Die Konsequenz heißt nicht weniger Bürgerbeteiligung, sondern mehr. 

von Erik Flügge

Alle Anwohner eines Bauvorhabens werden zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Eine verantwortliche Person aus der Kommune präsentiert das Vorhaben. Tumult artige Zustände herrschen im Raum. Aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger rufen immer wieder dazwischen. Wut kocht hoch. Die Verantwortlichen fühlen sich missverstanden, die Bürgerinnen und Bürger auch.

Es ist Alltag geworden für Stadtplanerinnen und Stadtplaner, dass sie in Versammlungen neue Straßenführungen und Gebietserschließungen vor Gruppen präsentieren, die ihnen ihre ganze Wut entgegen schleudern. Wo immer gebaut wird, gibt es Leute, die negativ von dem Vorhaben betroffen sind. Sie wehren sich lautstark, während die Profiteure der Maßnahme sich nicht zu Wort melden. Es ist das gute Recht von Bürgerinnen und Bürgern, sich gegen Nachteile zur Wehr zu setzen, es muss aber in einer Demokratie auch immer Ziel sein, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen.

Der Fehler liegt in der Form

Formen der Beteiligung haben massiven Einfluss auf den Stil, in dem miteinander diskutiert wird. Wenn sich Kommunalverantwortliche vor eine Gruppe aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger stellen, um bereits weitestgehend zu Ende Geplantes zu präsentieren, dann ist von vorn herein klar, wo dieses Gespräch enden wird: In einem Wir gegen die! „Wir, die Bürgerinnen und Bürger, die übervorteilt werden, gegen die von der Stadt, die da vorne stehen und kein Verständnis für unsere Bedürfnisse haben.“

Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit, man fühlt sich überfordert und in die Ecke getrieben und eine natürliche Reaktion von Menschen auf eine solche Überforderung ist es, mit Wut zu reagieren. Nur wo Wut im Spiel ist, da versagen konstruktive Argumente. Noch so gute planerische Ansätze prallen an der Wand aus Emotion einfach ab.

Bürgerbeteiligung braucht Know How

Es ist nicht das Kerngeschäft von Stadtplanerinnen und Stadtplanern sich mit den Gefühlen von Menschen in Diskussionssituationen zu beschäftigen. Sie befassen sich beruflich mit Verkehrsströmen, mit der Luftversorgung von Stadtteilen, mit Kostenkalkulationen und Planungsverfahren. Ihre Expertise sind die Sach- und Fachfragen rund um das Planen und Bauen. Weil viele von ihnen das wissen, holen sie sich Beteiligungsspezialisten dazu. Erschütternd ist nur, wie oft diese angeblichen Spezialisten groben Unfug empfehlen.

Es ist nie dienlich eine Planerin oder einen Planer vor eine Gruppe zu stellen um etwas in Fachsprache präsentieren zu lassen. Es ist aber genauso wenig dienlich nur Unterstützung dabei zu leisten, die Fachsprache in die Sprache der Bürgerinnen und Bürger zu übersetzen. Moderation von Beteiligungsvorhaben muss mehr leisten, als Metaplankärtchen von den Bürgerinnen und Bürgern beschreiben zu lassen. Sie muss eine emotional positive Grundlage schaffen, damit überhaupt ein echter Diskurs möglich wird.

Die Planung von Beteiligungsvorhaben hat viel mit Know How zu tun. Man braucht Wissen über Räume, über gruppendynamische Effekte, über den Einfluss von Präsentationsformen und Zusammensetzung auf die innere Konstitution einer Gruppe, um dann die richtigen Empfehlungen an eine Kommune geben zu können. Viel zu oft setzen Beratungsfirmen auf billige Aushilfen, die dann nett lächelnd versuchen eine komplexe Aufgabe ohne das nötige Hintergrundwissen zu lösen.

Am Anfang einer guten Bürgerbeteiligung stehen zentrale Fragen:
– Wen müssen wir zu einer Beteiligung einladen, damit ein echter Dialog der Bürgerschaft untereinander zu Stande kommt und keine Konfrontation zwischen Stadtverwaltung und Bürgerschaft?
– Wie muss das Verfahren gewählt sein, damit nicht nur Gegner eines Vorhabens zusammen kommen, sondern auch Befürworterinnen und Befürworter?
– Wie können die planerischen Grundlagen des Vorhabens von allen Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden, so dass ein größerer Gesamtzusammenhang für die Stadt über den eigenen Tellerrand hinaus auch erdacht werden kann?
– Wie muss ein Raum gewählt und bestuhlt werden, damit von Anfang an mehr Dialog und weniger Konfrontation angelegt ist?
– Welche Diskussionsform ist dienlich, damit es zu einem echten Austausch anstatt eines Schlagabtausches kommt?
– Wie kann mit allen Sinnen eine Planung nachvollzogen werden, damit man sich nicht an einzelnen Argumenten festbeißt, sondern offen wird für neue Lösungen?
– Wie können Kommunalverantwortliche gut auf eine solche Beteiligung vorbereitet werden, damit sie nicht in Konfrontation zu den Bürgerinnen und Bürgern geraten?
– Wann ist der richtige Zeitpunkt im kommunalen Planungsverfahren, um Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, damit die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger auch vernünftig eingeplant werden können?

Echte Bürgerbeteiligung kann viel zum Frieden in der Bürgerschaft beitragen und sie ist geeignet Planungen massiv zu verbessern, wenn sie richtig gestaltet wird. Das gelingt nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger in ihrer eigenen Nutzerperspektive ernst genommen werden und wenn diese gleichsam die Grenzen ihres Mitsprachespielraumes vor Augen haben. Dabei ist ein Vertrauen darauf, dass keiner der Beteiligten per se zum Nachteil des anderen handeln will, eine Grundvoraussetzung, die aber erst aufgebaut werden muss und nicht vorausgesetzt werden kann.

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Beteiligung

Ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Schaffung eines Dialogklimas ist die Beteiligung zum Berneckstrand in der Stadt Schramberg. Der Kommunalberater Udo Wenzl hat diesen Prozess solide geplant und moderiert und darum ist er ein Erfolg geworden.

Der Berneckstrand ist ein altes Freibad in Schramberg, das zu einem Freizeitgelände umgeplant werden soll. Zumeist ältere hatten dabei die große Sorge, dass sich das Gelände zu einem Sammelplatz für marodierende Jugendliche entwickeln könnte. Auf Einladung des Oberbürgermeisters moderierte Udo Wenzl eine Begegnung von Senioren und Jugendlichen. Um von Anfang an die Konfrontation zwischen den beiden Gruppen aufzulösen, bat der erfahrene Moderator zuerst die Senioren den Jugendlichen von ihren Erfahrungen mit dem alten Freibad jeweils in Zweiergesprächen zu berichten. Der Effekt war beeindruckend. Die Perspektive der Senioren wurde verschoben – und zwar auf die eigene Jugendzeit in Schramberg.

Die Senioren berichteten von ihren Erfahrungen als junge Menschen mit dem Freibad. Von schönen Nachmittag und vom Verlieben, von Spaß im Wasser und dem schönen Zusammensein als junge Menschen. Alsbald lösten sich auch die geballten Fäuste in den Taschen, denn plötzlich wurde für die Gegner des Projektes klar, dass sie selbst auch schon von diesem Strand profitiert hatten. In der Folge entstand ein echtes Gespräch und eine wirkliche Auseinandersetzung über Wünsche und Sorgen.

Heute ist der Berneckstrand eröffnet und ein voller Erfolg, weil es einen Dialog zwischen Interessensgruppen in der Bürgerschaft gab, anstatt einer künstlichen Konfrontation zwischen Gegnern und der Stadtverwaltung.

Hätte man zu Anfang mal wieder die typischen bunten Karten voll geschrieben und sich danach rein auf der Argumentebene zum Projekt auseinander gesetzt, hätten sich die Fronten in der Versammlung mit großer Sicherheit gegeneinander aufgeschaukelt. Das Ergebnis wäre weder Dialog noch Beteiligung, sondern nur ein Schlagabtausch gewesen.

Der 8erRat – Ein neues Beteiligungsmodell nimmt Fahrt auf!

von Erik Flügge

Es ist die wohl schönste Erfolgsgeschichte, die Udo Wenzl und ich gemeinsam erlebt haben. Vor rund einem halben Jahr entwickelten wir auf der Bodenseeinsel Mainau ein neues Modell der Jugendbeteiligung: Den 8erRat. Veröffentlicht haben wir diese Idee in einem kurzen Blogbeitrag mit dem Titel „Alternative zum Jugendgemeinderat? – Das Modell des 8erRat„. Seither steht unser Telefon nicht mehr still. Eine Kommune nach der nächsten meldet sich und will das Modell mit uns entwickeln und erproben.

Wenn Udo Wenzl und ich zur Zeit kontaktiert werden, dann geht es oft um den 8erRat. Die Berichte aus ganz unterschiedlichen Kommunen klingen dabei stets ähnlich. Im Rat gebe es einen breiten Konsens, dass man Jugendliche beteiligen will. Man habe vor ein paar Jahren sogar einen Jugendrat beschlossen und eingeführt, aber so richtig funktioniert es eben nicht. Mal fehlen die Kandidatinnen und Kandidaten, mal die Ideen im Gremium. Es bleibt unbefriedigend.

Am meisten stört die Verantwortlichen in den Kommunen, dass ein Jugendrat nur so wenige Jugendliche zu Beteiligten macht. „Da sind doch fast alle außen vor“ sagt eine Kollegin und macht ihrem Frust Luft, dass gerade die Jugendlichen mit wenig Engagementerfahrung und sozial schwächerem Elternhaus keine Chance im Jugendrat haben.

Nicht überall scheitern Jugendräte, aber sie scheitern viel zu oft, als dass man von einem Erfolgskonzept sprechen könnte. In jedem Fall beteiligt ein Jugendrat nur eine kleine Anzahl junger Menschen in einer Kommune. Das Ziel vieler Verantwortlicher ist aber, möglichst alle Jugendlichen für Demokratie und Engagement zu begeistern.

Der 8erRat wird Realität

2015 haben sich nun eine ganze Reihe Kommunen mit Udo Wenzl und mir mit meinen Kollegen von der S&N Kommunalberatung auf den Weg gemacht, den 8erRat zu entwickeln und zu erproben. In mancher Kommune sind wir in einer frühen Diskussionsphase, in der man das Modell erst einmal besprechen möchte, in anderen Städten laufen schon ganz konkrete Planungen mit Schulen, der Stadtverwaltung und der Jugendarbeit. Das Modell begeistert viele, aber es hat auch seine Hürden.

Wie gelingt uns echte Beteiligung, wenn die Teilnahme am 8erRat verpflichtend ist? Mit welcher Methodik lösen wir die Klassenrollen an zentralen Veranstaltungen mit Achtklässlern auf? Wie schaffen wir schulartübergreifende Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern? Wie kann der Politikunterricht vernünftig an die Erfahrungen aus dem 8erRat anschließen? Wie setzt die Kommune Ziele und Ideen der Jugendlichen gemeinsam mit diesen um und wie kann ein Engagementanschluss für die Jugendlichen sicher gestellt werden?

Es sind eine Menge Fragen offen, aber es sind die richtigen Fragen. Denn alle diese Fragen befassen sich mit der Lösung von Problemen, die Jugendbeteiligungsverfahren seit Jahrzehnten ausblenden. Normalerweise arbeitet man mit Simulations- und Pseudoformen, wenn alle Jugendlichen etwas mitmachen sollen, oder man schließt über das „Prinzip der Freiwilligkeit“ die Desinteressierten von vornherein aus, wenn man echte Partizipation ermöglichen will. Selten operiert man mit so großen Anzahlen an jungen Menschen gleichzeitig und wenn dann nur über Wahlen und Fragebögen, aber nie, indem man jede und jeden Einzelne und Einzelnen zu echten Beteiligten macht.

Wow, ein riesen Ding und wir sind heute noch heillos überfordert. Das Tolle ist, dass der 8erRat uns und so viele unserer Kolleginnen und Kollegen in den Kommunen bei der Pädagogen-Ehre gepackt hat. Wir wollen, diese Probleme lösen und nicht noch weitere Jahrzehnte aufschieben.

Unser Ziel 

Mit dem 8erRat wollen wir ein Modell entwickeln, das in vielen Kommunen funktionieren kann. Wir begreifen die Jahre 2015 – 2017 als große Modellphase, in der ganz unterschiedliche Lösungen in unterschiedlichen Städten und Gemeinden erprobt werden, so dass es nach drei Jahren ausreichend Erfahrungswissen gibt, damit auch andere diesen Weg gehen können.

Wer heute schon mutig mit seiner Stadt oder Gemeinde mit voran gehen will bei der Entwicklung des 8erRats, darf sich gerne bei uns melden. Wir freuen uns definitiv über noch viele Kommunen, die mit uns einen neuen Weg in der Beteiligung von Jugendlichen gehen wollen.

Die Zukunft der Jugend im ländlichen Raum – ein LEADER – Projekt

In Biederbach, Elzach, Gutach im Breisgau, Simonswald und Winden im Elztal wurde die Jugendbeteiligung interkommunal auf den Weg gebracht. Von Januar bis Dezember 2014 setzten sich die Jugendlichen  mit Bürgermeistern und Gemeinderäten an einen Tisch, um mit ihnen über ihr Lebensgefühl, ihre Bedürfnisse und ihre Zukunftsperspektiven zu diskutieren. Für alle Seiten eine enorme Bereicherung, so Roland Tibi, der Elzacher Rathauschef, der die Federführung des interkommunalen Projektes hatte. „Ich bin heute von dem Engagement und den Ideen begeistert, die das Beteiligungsprojekt „Die Zukunft der Jugend im ländlichen Raum“ hervorgebracht hat“, so Roland Tibi. Das Projekt wurde von Udo Wenzl begleitet und aus dem LEADER-Programm der EU finanziell gefördert.

image002Udo Wenzl im Gespräch mit Bürgermeister Roland Tibi. 

„Was war für Sie die Motivation das Projekt „Die Zukunft der Jugend im ländlichen Raum“ auf den Weg zu bringen?“

„Wir haben einen Weg gesucht, wie man als Kommune, als Bürgermeister, als Verwaltung aber auch als Gemeinderat an die jungen Menschen herankommen kann. Die jungen Menschen im oberen Elztal äußern sich nicht zu politischen Themen. Wir haben eine unpolitische Jugend, während die Erwachsenen z.B. in Elternvereinen und Senioren-Verbänden ihre Interessen artikulieren, machen das die Jungen nicht. Und daher sahen wir eine ausgezeichnete Möglichkeit mit den jungen Menschen ins kommunalpolitische Gespräch zu kommen.

„Warum wurde das Projekt von Anfang an interkommunal durchgeführt?“

„Unsere jungen Menschen sind im oberen Elztal auch interkommunal aufgestellt. Dass sich die Jugendlichen ausschließlich in ihren Ortschaften aufhalten, gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Beispielsweise gibt es über die Schulen Verbindungen über die Gemeindegrenzen hinweg, die wir natürlich aufgreifen. Im Übrigen waren wir im oberen Elztal und im Simonswäldertal Tal der Auffassung, dass dieses ein Thema ist, dass man unbedingt interkommunal angehen sollte.“

„Was war für Sie das Interessanteste im Projekt?“ 

„Für mich waren zwei Dinge sehr interessant: Zum einen konnten wir bei den Schulveranstaltungen eine große Zahl von jungen Menschen ansprechen und tatsächlich auch erreichen. Da wurden Hindernisse abgebaut, die zwischen den Jugendlichen und der Position und Funktion des Bürgermeisters standen. Wir haben tolle Gespräche geführt und echt gute, sinnvolle und interessante Anregungen erhalten, an die wir als Bürgermeister, Gemeinderäte oder Verwaltungsmitarbeiter bisher gar nicht gedacht hatten.

Das zweite war, dass auf Grund der zeitgleich stattfindenden Kommunalwahl auch sämtliche Parteien und Gruppierungen unsere Aktion „Die Zukunft der jungen Menschen im ländlichen Raum“ in ihre Arbeit mit aufgenommen und ebenfalls das Gespräch gesucht haben. Und auch dort gab es ganz interessante Begegnungen und viele Ideen, die bis heute in die Arbeit der Parteien und Gemeinderatsfraktionen eingeflossen sind.“ 

Ein Film über das LEADER –Projekt: Im Rahmen des Projekts „die Zukunft der Jugend im ländlichen Raum“ wurde eine Filmdokumentation erstellt. Der Film stellt Methoden und Vorgehensweisen vor und soll Gemeinden Appetit machen, die das Thema angehen wollen, aber noch keine klare Vorstellung über das „wie“ haben. Der Film ist über die Internetpräsenz der LEADER Aktionsgruppe Südschwarzwald zugänglich (www.leader-suedschwarzwald.de).

Wie geht es konkret im Zweitälerland weiter?

Ein Ergebnis war der „Rat der Jugend“, der jetzt ganz konkret mit neun Mitstreitern an einem Mobilitätsprojekt arbeitet. Gemeindeübergreifend wird ein Lösungskonzept für die eingeschränkte Mobilität erarbeitet, dass die Mobilitätsbedürfnisse von Jung und Alt optimal abdecken soll. Entwickelt werden hierzu ein regionales Online-Portal auf der Basis von flinc (www.flinc.org) im Zusammenwirken mit Südbadenbus. Für dieses Projekt haben die Gemeinden und der Rat der Jugend vom Verkehrsministerium Fördermittel in Höhe von rund 16.000 Euro erhalten.

Mit Kindern und Jugendlichen die Gemeindeentwicklung starten

von Udo Wenzl

Haben Sie schon einmal überlegt, Ihre Gemeindeentwicklung mit den Kindern und Jugendlichen der Gemeinde zu starten? Wenn nicht, dann wäre dies aus mehreren Gründen eine Überlegung wert. Denn: Die Weiterentwicklung Ihrer Gemeinde dient insbesondere denen, die möglicherweise noch sehr lange in der Gemeinde leben sollen und wollen und oft auch leben werden.

Gerade die im ländlichen Raum liegenden, meist kleineren Kommunen stehen vor der Herausforderung, Zukunftsperspektiven so zu entwickeln, dass sie auch weiterhin attraktiv für ihre, für alle Bürgerinnen und Bürger sind. Die Gemeindeentwicklung ist somit eine aktuelle und immer wieder kehrende Aufgabe einer Kommune.

Eine kinder- und jugendfreundliche Gemeindeentwicklung ist von zentraler und zukunftsweisender Bedeutung. Eine Gemeinde im ländlichen Raum ist nur dann wirklich lebenswert und auch funktionsfähig, wenn die unterschiedlichen Generationen in dem Dorf zusammen leben können. Vor allem unter dem Aspekt der demographischen Entwicklung ist daher von geradezu existenzieller Bedeutung, auch den jungen Menschen eine Perspektive zu bieten.

Kinder und Jugendliche haben eine Stimme und eine Vorstellung von Zukunft!

Um insbesondere für die junge Generation attraktiv zu bleiben, braucht es eine neue und eigenständige Jugendpolitik im ländlichen Raum, die von Anfang an Kinder und Jugendliche aktiv mit einbezieht, bzw. den Raum gibt, dass Kinder und Jugendliche sich aktiv einbringen wollen und auch tun. Würde dies geschehen, dann könnte es dazu führen, dass sich die junge Generation von Anfang an als wichtiger Teil der Kommune fühlt.

Unsere Mitwirkungs- und Beteiligungsformate im kommunalpolitischen Raum erreichen meist diejenigen, die schon wahlberechtigt sind. Und die Beteiligungsformate wie z.B. Zukunftswerkstätten sprechen bestimmte, meist erwachsene Zielgruppe an.

Eigenverantwortung, Mitbestimmung und Mitsprache bieten jungen Menschen die Möglichkeit, ihre besonderen Interessen und Wünsche zu artikulieren und aktiv an der Gestaltung der eigenen Lebenswelt mitzuwirken. Nur so kann es gelingen, die Interessen der Kinder und Jugendlichen in ein ganzheitliches Konzept einzubinden, damit die Dörfer sich zu kinderfreundlichen Lebensräumen weiterentwickeln können. Und hier geht es nicht nur um Betreuungsangebote für die Kleinsten.

Förderprogramme unterstützen diese Entwicklung

Eine Vielzahl an Unternehmungen wie z.B. Landeswettbewerbe „Unser Dorf hat Zukunft“ (2013 – 2016), das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR) oder auch die neuen regionalen LEADER – Entwicklungspläne greifen dieses Anliegen aktiv mit auf. Förderungen aus solchen Programmen u.a. auch der Landesentwicklungsprogramme sind mittlerweile geknüpft an Bürgerbeteiligungsverfahren.

Gerade mit den Fördermitteln von Leader können ab 2015 (und sicher nicht nur in Baden-Württemberg) Gemeindeentwicklungsprozesse gefördert werden. Wie eine solche Beteiligung im ländlichen Raum aussehen könnte, haben wir bereits 2013/2014 in sieben Schwarzwaldgemeinden praktiziert (https://www.partizipations-blog.de/beispiel-seite/jugendbeteiligung/leader-sudschwarzwald/). Einen zentralen Schwerpunkt dabei bilden die Kinder-, Jugend und Bürgerbeteiligung, so dass sich die Bevölkerung in die Gestaltung ihres Lebensumfelds selbst mit einbringen kann.

Ein Blick nach Rheinland-Pfalz

Mit Blick auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Dorf- und Gemeindeentwicklung ist Rheinland-Pfalz schon einen Schritt weiter: Die Landesregierung hat eine Broschüre aufgelegt, die die Interessen und Bedürfnisse der jungen Generation im ländlichen Raum benennt und beispielhafte Maßnahmen und Methoden vorstellt, wie Kinder und Jugendliche in einem Entwicklungsprozess angemessen beteiligt werden können. Hier existieren Leitlinien zur kinder- und jugendfreundlichen Dorfentwicklung, die ganz deutlich machen: Ohne eine Beteiligung der Zielgruppe selbst geht es nicht!

Die Leitlinien zur kinder- und jugendfreundlichen Dorfentwicklung sind zu finden unter:  http://mifkjf.rlp.de/fileadmin/mifkjf/service/publikationen/Kinder_und_Jugend/Leitlinien_Dorfentwicklung_2010.pdf

E-Partizipation: Die Illusion von der einen Plattform

Eine bundesweit oder sogar europaweit von Millionen Menschen genutzte Beteiligungsplattform ist die Allmachtsphantasie von Ministerien, Politikern und Verbänden in der Bürger- und Jugendpartizipation. Egal wie viel Geld in diesem Segment noch verbrannt wird, der Versuch muss scheitern. 

von Erik Flügge

Was hat man nicht schon alles versucht. Hohe Summen öffentlicher Gelder wurden für die Entwicklung, Programmierung und den Betrieb von Beteiligungsplattformen versenkt. Alle diese Projekte scheiterten bitterlich. Der Grund dafür ist recht einfach, wird aber beständig ignoriert: Die Methode kommt zum Schluss.

E-Partizipation beginnt entgegen aller pädagogischen Literatur immer mit der Methode. Irgendwer hat die Phantasie, er könne auf seiner Plattform alle Initiativen, Gedanken und Zielgruppen bündeln und dauerhaft binden. Mal ganz ehrlich, das kann nicht funktionieren und eine gute Einführungsveranstaltung an einer Hochschule zum Thema Bürgerbeteiligung reicht aus, um das zu verstehen.

Es ist der falsche Ansatz zu glauben, dass allein die Möglichkeit seine Meinung Kund zu tun, Menschen zu mobilisieren vermag. Viel zu selten glauben Bürgerinnen und Bürger und insbesondere Jugendliche daran, dass das, was sie zu sagen haben, auch wirklich gehört wird. Darum müssen alle Beteiligungsprozesse mit Vertrauensarbeit beginnen. Dafür trifft man sich in Veranstaltungen, spricht miteinander, baut Beziehungen zueinander auf, um dann über die eigentliche Sache ins Gespräch zu kommen. So funktionieren alle erfolgreichen Beteiligungsprozesse und all diese Grundsätze werden im Netz ignoriert.

Wie kommt also diese Fehlkonzeption in die Köpfe der Entscheidungsträger? – Ich bin der Überzeugung, sie entsteht aus Unwissenheit über das Internet. In den Köpfen vieler Menschen hat sich festgesetzt, dass unglaublich viele Menschen das Internet nutzen und sich dort bewegen. Ja, das stimmt, aber der Fehler ist, dass das Internet als zentraler Ort missverstanden wird. Im Netz halten sich Menschen an ganz unterschiedlichen Orten auf und kommunizieren in ganz unterschiedlichen Gruppen. Genau wie in jeder Stadt gibt es Gruppen im Netz, die sich gegenseitig niemals begegnen. Das Internet als Ganzes zu einem zentralen Beteiligungsort zu verklären, ist, als wenn man die Forderung aufstellen würde: „Beteiligung muss in der Stadt stattfinden, weil Menschen in der Stadt leben“. Der Satz ist grundsätzlich richtig, nur leider erwächst aus ihm keine konkrete Handlung, denn unklar bleibt, mit wem in der Stadt an welchem Ort in der Stadt und mit welcher Methode zu welchem Zweck Menschen beteiligt werden sollen.

Mich ärgert, wie viele Dienstleister aktuell diesen Fehlschluss über das Internet in den Köpfen von Entscheidungsträgern ausnutzen. Hinz und Kunz bietet jeweils eine Beteiligungsplattform an. Immer wird versprochen, sie wäre die eierlegende Wollmilchsau. Diese Beteiligungsplattform wird alles können – von der Beteiligung an Bebauungsplänen über das Melden von Mängeln, das Besprechen tagesaktueller Politik bis hin zu konkreten Entscheidungsprozessen. Mit der tollsten, neusten, besten Plattform wird das alles möglich, denn schließlich sind doch alle Menschen neuerdings im Netz.

Ich bin mir unsicher, ob die Anbieter bewusst täuschen, oder ob sie sich selbst der Illusion hingeben, Beteiligung könnte so funktionieren. In jedem Falle ist mittlerweile eindeutig empirisch durch alle möglichen Feldversuche mit Plattformen erwiesen, was theoretisch schon immer klar war, der Ansatz von Beteiligungsplattformen für alle und alles ist kompletter Quatsch.

Es gibt gelingende E-Partizipation

Es gibt erfolgreiche Beteiligungsprozesse unter Nutzung des Internets. Ja, solche Beteiligungsprozesse können gelingen und die Nutzung von Technologie kann auch echten Mehrwert für Beteiligungsprozesse bringen. Die erfolgreichen E-Partizipationsprozesse haben aber alle etwas gemein. Sie definieren erst den Beteiligungsgegenstand, dann die Zielgruppe und schließlich entscheiden sie sich für die richtige Abmischung an Methoden. Eine dieser Methoden kann gerne ein Werkzeug oder Netzwerk aus dem Internet sein. Sie ist aber niemals gesetztes Muss.

Erfolgreiche Partizipation muss egal ob offline oder online oder in einer online-offline-Kombination immer anerkennen, dass es Menschen mit unterschiedlichen Beteiligungserfahrungen und methodischen Bedürfnissen gibt. Erfolgreiche Partizipation kennt die zu erreichende Zielgruppen und optimiert ihre Verfahren in solcher Weise, dass diese Zielgruppe die bestmögliche Chance bekommt, sich einzubringen.

Würden wir all die Mittel, die heute für die Entwicklung von Beteiligungsplattformen verbrannt werden, in gut gemachte Beteiligungsprozesse investieren, unser Land hätte wirklich gewonnen und es gäbe weniger Ruinen im Netz.

Gelingende Jugendbeteiligung – ein Standortfaktor für Städte, Märkte und Gemeinden

Winfried PletzerWie erfolgreiche Jugendpolitik unsere Kommunen zukunftsfähig macht
Winfried Pletzer, Bayerischer Jugendring
Partizipation im Gemeinwesen erhöht Identifikation mit dem Gemeinwesen. Und Identifikation mit der Gemeinde erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen in ihrer Heimat verwurzelt bleiben. Für die Zukunft – insbesondere des ländlichen Raumes – in Zeiten eines beschleunigten Struktur- und Demografischen Wandels ist dieser Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Denn viele Gemeinden des ländlichen Raumes verlieren durch eine überproportionale Abwanderung der kreativen jungen Generation, durch den Wegzug der jüngeren und qualifizierten „Macher“ die vitalen Potentiale für ihre Weiterentwicklung. Ein wichtiges Ziel für Gemeinden mit Zukunft muss deshalb sein: Für Jugendliche, insbesondere im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, sollte ihre Heimatgemeinde so attraktiv und lebenswert sein, „dass sie bleiben – statt zu gehen.“ Zumindest sollten sie, wieder zurückkommen wollen (und können), in ihre Heimatgemeinde; nach auswärtiger Berufsausbildung, nach Studium, Praktika und Auslandsaufenthalten.

Was veranlasst junge Menschen nun zum Bleiben, was ist der Grund dafür, dass junge Menschen ihrer Heimatgemeinde eben nicht den Rücken kehren? Was hält sie im Dorf?
Zusätzlich zu den, evidenten strukturellen sowie wirtschaftlichen Faktoren und Rahmenbedingungen, zeigen Untersuchungen, dass insbesondere die Qualität der sozialen Bezüge in den Gemeinden dafür entscheidend ist, ob es für junge Menschen attraktiv erscheint, ihrer Heimatgemeinde weiterhin als Lebensmittelpunkt zu wählen. U.a. zeigen aktuelle Untersuchungen, dass sich eine aktive Bürgerschaft mit einem regen Vereinsleben positiv auf die demografische Entwicklung auswirkt. Eine Vermutung zum ländlichen Raum lässt sich damit empirisch verifizieren: „Engagierte Bürgerinnen und Bürger und genügend Partizipationsmöglichkeiten machen kleine Orte attraktiver“. Bürgerschaftliches Engagement korreliert mit demografischer Stabilität! Es zeigt sich in den untersuchten Gemeinden deutlich: wachsende Dörfer haben die größte Dichte an Vereinen, umgekehrt weisen sehr stark schrumpfende Orte die geringste Anzahl an Vereinen auf. Eine, gemessen an der Vereinsdichte, aktive Bürgerschaft trägt somit zur demografischen Stabilität in Gemeinden des ländlichen Raumes bei. Je mehr sich Bewohner sich in den Gemeinden engagieren (können), desto stabiler sind die Ortschaften.

Diese politische Beteiligung will aber gelernt sein, Zivilgesellschaft will entwickelt werden, soziales Engagement muss gefördert werden. Die Grundsteine für die soziale Kompetenz der gesellschaftlichen Mitverantwortung werden insbesondere im Kinder- und Jugendalter gelegt. Durch Gelegenheiten und Möglichkeiten zu Mitbestimmung und Mitgestaltung für Kinder und Jugendliche in den Gemeinden wächst die Bereitschaft zu sozialem Engagement im Kinder- und Jugendalter, ein Engagement das zu aktiver als Mitbürgerschaft führt.

Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in den Gemeinden werden somit zum wichtigen Teil eines lebendigen Gemeinwesens. Damit sich junge Menschen mit ihrer Gemeinde identifizieren und an ihrer Entwicklung aktiv Anteil haben, benötigen sie Impulse, Aufforderung und Gelegenheiten, auch Hilfestellung und Begleitung. Kinder und Jugendliche brauchen Lern- und Erfahrungsfelder in ihren Gemeinden, um ihre Aufgabe als engagierte Bürgerinnen und Bürger kennenzulernen und einzuüben. Die kleinen, überschaubaren politischen und gesellschaftlichen Horizonte, mit ihren Möglichkeiten und Grenze bieten den idealen Bezugsrahmen. Erst durch Beteiligung, erst durch aktive Mitwirkung wird der Wohnort zur Heimatgemeinde und – ein Ort zum Bleiben.
Dieses Engagement, diese Identifikation mit der Gemeindeentwicklung durch aktive Beteiligung ist es, das junge Menschen vor Ort hält, dass sie immer wieder zum zurück kommen – letztlich zum Bleiben veranlasst. Insbesondere für kleinere Gemeinden auf dem Lande ist diese Identifikation ihrer Jugendlichen mit ihrer Gemeinde ein wichtiger Bestandteil zur Zukunftssicherung eines lebendigen und funktionsfähigen Gemeinwesens.

Jugendbeteiligung: Der Frust über den McDonalds-Wunsch.

Viele Städte und Gemeinden sind bemüht, ihre Jugendlichen zu beteiligen. Wenn dies gut gemacht wird, dann sagen Jugendliche ehrlich, was sie sich wünschen. Bei den Kommunalverantwortlichen löst das oft Kopfschütteln aus, denn die Wünsche heißen „McDonalds“, „Primark“, „H&M“ und „Burgerking“. 

Erik Flügge

von Erik Flügge

Der Wunsch nach Konsumtempeln ist typisch für Jugendliche. Sie wünschen sich vor Ort, was ihnen in ihren Kommunen fehlt und was sie dazu zwingt, weite Wege auf sich zu nehmen. Oftmals sind das bestimmte spezielle Freizeitangebote, aber noch öfter sind dies bestimmte Konsumgelegenheiten. Dieser Wunsch ist definitiv kein Anlass für Frustration, sondern ein wunderbarer Anlass für ein Gespräch über Kommunalpolitik.

„Warum gibt es keinen McDonalds“ in unserer Stadt, fragen sich viele Jugendliche. Weil sie noch kaum Erfahrung mit Kommunalpolitik haben, liegt die Frage nahe, warum die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister keine Filiale eröffnet. Die Vorstellung, dass das Stadtoberhaupt zuständig sein könnte, ist wesentlich einfacher, als die komplizierte Realität von Franchise-Unternehmungen und dem Zusammenspiel von privaten und öffentlichen Akteuren.

Können wir es den Jugendlichen verdenken? – Nein, ganz und gar nicht. Verlangen Erwachsene nicht auch von der Bundesregierung, sie möge Jobs schaffen. Werden nicht auch Stadtoberhäupter abgewählt, weil eine privatwirtschaftliche Firma den Standort wechselt. Verlangen die Bürgerinnen und Bürger nicht allerlei Lösungen von ihrer Stadtpolitik für Probleme, die sie schlicht in der Nachbarschaft im Gespräch klären könnten und bei denen die Politik nunmal nichts machen kann.

Was sagt uns der Wunsch nach einem H&M? 

In der Aufforderung Konsumgelegenheiten im Heimatort anzusiedeln encodiert sich eine Botschaft an die Politik, die es aufzugreifen gilt: Die städtischen Angebote für Jugendliche sind vielfach nicht treffsicher.

Wenn sich Jugendliche wünschen, dass ein McDonalds Filiale eröffnet wird, dann wünschen sie sich nicht nur Burger, die nach Pappe schmecken und Cola, sondern sie wünschen sich einen Ort, an dem sie sich aufhalten wollen. Es sind Jugendliche, die sich von den vorhandenen Angeboten der verbandlichen und offenen Jugendarbeit nicht ausreichend angesprochen fühlen.

Greift man diese Rückmeldung ernsthaft auf, dann kann die Antwort nicht allein sein, dass es mehr Bildung hin zum kritischen Konsum braucht, wie sie oft von erwachsenen Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern gegeben wird. Die Antwort muss auch sein, dass heute bestehende Angebot der Jugendarbeit einer kritischen Prüfung anhand von Zielgruppen stand halten und Lebensweltgerechtigkeit geschaffen wird.

Die Lebensweltgerechtigkeit

Der Leiter der SINUS-Akademie, Peter Martin Thomas und ich fordern in einem Artikel über Schule („Lernen kann man überall“), dass diese sich für unterschiedliche lebensweltliche Perspektiven öffnet und ihre Bildungsziele und Bildungsanlässe nicht nur aus einem bürgerlichen Mainstream der Vergangenheit schöpft. Gleiches gilt auch für die Jugendarbeit von heute.

Halten unsere heutigen Strukturen der Jugendarbeit einer kritischen Prüfung anhand der Lebenswelt heute lebender Jugendlichen stand? Sind sie gerecht?

In den meisten Städten und Gemeinden verwenden die Kommune, Verbände, Vereine und Kirchen deutlich mehr Ressourcen für Jugendliche auf, die mit der bürgerlichen Gesellschaftsmitte kompatibel sind. Summiert man auf, was ein Jugendlicher ohne besonderen Betreuungsbedarf an Ressourcen bereit gestellt bekommt und stellt dies ins Verhältnis zu den – zu Recht – als „benachteiligte“ bezeichnete Jugendliche ergibt sich ein deutliches Gerechtigkeitsgefälle.

Es gibt in den meisten Städten und Gemeinden mehr Geld für’s Gymnasium als für die Hauptschulen, die Förderung von Vereinsstrukturen hat oft Priorität, obwohl diese für benachteiligte Jugendliche oft nicht anschlussfähig sind. Nimmt man noch alle freien Träger, Kirchen und Verbände mit in die Kalkulation auf, so ergibt sich ein Missverhältnis an Ressourcenaufwendung zwischen unterschiedlichen jugendlichen Lebenswelten.

Erkennen lässt sich dieses Missverhältnis in einem scheinbar unreflektierten Wunsch nach einem Burgerking. Aber eine Frage sei zulässig: Ist die frustrierte Antwort der Erwachsenen nicht mindestens genauso unreflektiert?

Bürgerbeteiligung als Generationendialog

In der Stadt Schramberg im Schwarzwald gelingt mit Unterstützung von Erik Flügge und Udo Wenzl, was sonst nur theoretisch erdacht und mit Nachdruck eingefordert wird: Ein erfolgreich durchgeführtes Generationenforum.

Generationendialog Flügge Wenzl

Generationenpolitik als Herausforderung der Zukunft

Bedingt durch den gesellschaftlichen Wandel ist ein Miteinander der Generationen heute nicht mehr selbstverständlich. Oft verhindern Vorurteile und Berührungsängste einen intensiven Austausch zwischen den Generationen. Wer nicht mehr zusammen wohnt, kommt kaum noch in Kontakt.

Viele gute Projekte zeigen jedoch, dass durch die Begegnung von Jung und Alt und durch gegenseitiges unterstützendes Engagement das Verständnis füreinander wächst und der Zusammenhalt in der Gesellschaft gefördert wird.

Durch den demografischen Wandel entstehen neue Situationen und Rahmenbedingungen, die wir mit der bisherigen Politik und ihrem Handwerkszeug nicht oder nur begrenzt bewältigen können. Viel zu oft sind heutige Politiken nur kurzfristig ausgelegt und verfehlen das Ziel langfristiger Wohlstandssicherung. Um den zukünftigen Generationen Handlungsspielräume zu eröffnen, braucht es grundlegende und mutige Entscheidungen. Es geht um das Leben der heutigen Generationen, und es geht zugleich um Gegenwart und Zukunft der kommenden Generationen.

Zu einem Konflikt zwischen den Generationen darf es nicht kommen! Es stellt sich vielmehr die Frage, ob ein verstärkter Dialog zwischen den Generationen zu einem neuen Verhältnis aller Bürgerinnen und Bürger in einer Kommune beitragen kann.

„Eine Gemeinschaft, die es dem Einzelnen ermöglicht, sich als wichtiges und wertvolles Mitglied dieser Gemeinschaft zu erleben, ist eine Kommune.“ (Gerald Hüther, Kommunale Intelligenz, Seite 15, 2013)

Wie kann der Generationendialog im kommunalen Raum gelingen?

Der Generationendialog fördert und unterstützt den Austausch und das gegenseitige Verständnis von Jung und Alt. Gerade die junge Generation erhält so die Möglichkeit, sich am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen, denn Jugendliche nehmen in diesem Diskurs eine aktive Rolle im Dialog mit den Erwachsenen ein.

„Wir sind alle erst zu dem geworden, was wir heute sind, weil es andere Menschen gab, die uns dabei geholfen haben, die uns gezeigt haben, worauf es ankommt.“ (Gerald Hüther, Kommunale Intelligenz, Seite 12, 2013)

Die reale Begegnung verschiedener Generationen im gesamtgesellschaftlichen Kontext könnte eine Generationenpolitik im kommunalen Raum ermöglichen, die nicht nur die Partikularinteressen einer Generation im Blick hat, sondern eine gemeinsame Strategie für alle Generationen entwickelt und diese dabei unterstützt, füreinander einzustehen.

Nicht über die Jugendlichen, ihre Themen und Anliegen sollte gesprochen werden, sondern mit ihnen, da Jugendliche einerseits die Experten in eigener Sache sind und andererseits durch den Dialog mit Älteren einen Weitblick für das kommunale Gesamtgefüge entwickeln können. Die Älteren wiederum erfahren im Dialog mit den Jungen, was deren jetzige Anliegen, aber auch ihre Zukunftsthemen sind.

„Die Kommune ist schließlich der Ort, an dem Heranwachsende lernen, worauf es im Leben ankommt, wie man gemeinsam mit allen anderen sein Leben gestaltet und wie man seinen Teil der Verantwortung für dieses Zusammenleben übernimmt. Insofern ist und bleibt die Kommune der entscheidende und komplexeste Erfahrungsraum, in dem das soziale Leben eingeübt werden kann.“  (Gerald Hüther, Kommunale Intelligenz, Seite 15, 2013)

Das Generationenforum in Schramberg

In Schramberg ist es gelungen, engagierte Senioren und Jugendliche zusammen zu bringen. In einem großen Generationenforum tauschten sich die Jüngsten und die Ältesten in der Stadt über ihre Interessen aus. Sie fanden Schnittmengen bei den Themen Mobilität, Innenstadtentwicklung und dem gemeinsamen Wunsch, mehr Einfluss auf die kommunale Politik nehmen zu können.

Das Forum wurde in der Stadt mit hohem Interesse aufgegriffen. Senioren stellen in der kommunalen Politik eine wichtige Wählergruppe dar und Jugendliche haben seit der Wahlaltersenkung in Baden-Württemberg an Bedeutung gewonnen. Dass sich die beiden Gruppen nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern im Vorfeld der Kommunalwahlen gemeinsam Position beziehen, macht sie stark. So gelingt in Schramberg praktisch, was sonst nur gewünscht und eingefordert wird: Ein Miteinander der Generationen.